Helena Algermissen
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GR11 Abschnitt 10 – von Setcases zum Cap de Creus

Tag 40: von Setcases nach Beget

Die erste Hälfte des Tages wanderten Jean-Marc und ich jeweils alleine. Nachdem ich Setcases auf einem Forstweg verlassen hatte, stieg der GR11 stetig bergan, bis ich schließlich ein grasiges Plateau erreichte. Die hohen Pyrenäen hatten wir hinter uns gelassen und wanderten von nun an durch flacheres Grasland. Ich setzte mich auf ein grünes Fleckchen neben dem Trail, warf einen Blick zurück und verabschiedete mich in Gedanken von den Granitgipfeln, zwischen welchen ich in den letzten Wochen täglich mein Lager aufgeschlagen hatte.

Für den Rest des Trails musste ich mich ein wenig durch‘s Gebüsch schlagen und unter tief hängenden Ästen hindurch tauchen. Leider begleiteten mich meine Magenschmerzen noch immer und so musste ich einige Pausen machen, wenn die Krämpfe zu stark wurden.

Als ich den höchsten Punkt des Tages erreichte brannte die Sonne vom Himmel. Das Gras hier oben war struppig und braun, die Luft unbewegt und schwer. Ich zögerte nicht lange und überquerte die Ebene, um jenseits des Passes nach Mollo hinunter zu wandern. Hier breitete ich mein Zelt in der Sonne aus, um es zu trocknen und musste beim Packen meines Rucksackes feststellen, dass ich meinen Wasserfilter verloren hatte. Vermutlich, als ich mich durch die Büsche geschlagen hatte, dachte ich. Was für ein ungünstiger Zeitpunkt auf dem trockensten und heißesten Abschnitt des GR11 seinen Wasserfilter zu verlieren. Resigniert setzte ich mich in den Schatten und überlegte, wie ich mit dem Problem umgehen sollte. Heute war wieder einer dieser Tage, an denen nichts so richtig laufen wollte. Ich fühlte mich schwach von der andauernden Krankheit, die Hitze war auch nicht besonders zuträglich und der Gedanke nur noch von sauberen Wasserquellen abhängig sein zu können, bereitete mir Sorgen.

Doch heute war das Glück auf meiner Seite. Als Jean-Marc kurze Zeit nach mir in Mollo ankam, erblickte ich eine mir wohl bekannte Flasche, die oben auf seinen Rucksack gespannt war. Er hatte meine Wasserflasche inklusive dem darauf angebrachten Filter auf dem Trail gefunden und mitgebracht. Was für ein Glück!

In Mollo machten wir eine Mittagspause und trafen in einem Restaurant zwei andere GR11 Wanderer. Abby aus den Vereinigten Staaten und ihr belgischer Freund mit einem französisch klingenden Namen aßen mit uns gemeinsam zu Mittag. Letzterer hatte einen sehr interessanten Job als Installateur für Cyclotron Teilchenbeschleuniger, welche für die Bekämpfung von Tumoren eingesetzt wurden. Wir fragten ihn ein wenig aus, wie das ganze funktionierte und waren fasziniert von seinen Antworten; Protonen werden beschleunigt und durch ein Vakuum geleitet, bevor sie auf den Tumor geschossen werden. Das Ganze ist extrem genau und umliegendes Gewebe bleibt unverletzt, selbst das Gewebe VOR dem Tumor.

Nach der Mittagspause wanderten wir weiter nach Beget. Es ging hauptsächlich bergab, die Szenerie wurde zunehmend sanfter und jeder Baum der uns Schatten spendete, war herzlichst willkommen.

Gegen Abend erreichten wir Beget, ein kleiner touristischer Ort – der nach Angaben eines Belgiers, welchen wir vor einem Hostel trafen – zwei Jahre hintereinander zum schönsten Dorf Spaniens ernannt wurde. Ohne Zweifel war Beget hübsch, doch fühlte es sich für mich hier nicht besonders authentisch an, ohne dass ich genau in Worte fassen konnte, warum das so war.

Es gab eine kleine traditionelle Bäckerei und Jean-Marc und ich kamen nicht umhin, ihr einen Besuch abzustatten. Wir kauften Oliven-Ciabatta aus Sauerteig und Jean-Marc bestellte sich eine Pizza. Gemeinsam mit Abby und ihrem Freund mit dem französischen Namen saßen wir auf einer Mauer im Ort und verspeisten unser Abendessen. Als sich langsam der Sonnenuntergang ankündigte, beschlossen Jean-Marc und ich uns auf die Suche nach einem geeigneten Platz für unsere Zelte zu machen. Nach einem 30 minütigen Spaziergang im Dunkeln fanden wir einen flachen, leicht versteckten Platz neben dem Fluss, der schon zwei weitere Zelte beherbergte. Wir gesellten uns dazu, bauten das Lager auf und ich verschwand direkt im Zelt. Jean-Marc unterhielt sich mit den anderen beiden, doch mein Magen fühlte sich nicht gut genug an, um mich heute Abend noch an einer Konversation teilnehmen zu lassen.

Tag 41: von Beget nach Albanyá

Als ich aufwachte, fühlte ich mich um einiges besser und startete mit mehr Zuversicht in den Tag als gestern. Jean-Marc war noch nicht zum Aufbruch bereit, doch wir besprachen uns später wieder zu treffen. Ich wollte heute unbedingt die 31 km bis nach Bassegoda wandern und scheinbar teilten unsere Zelt Nachbarn diesen Plan ebenfalls. Marijn aus Holland und Lukas aus Tschechien brachen gleichzeitig mit mir auf, also hängte ich mich bei ihnen an.

Wir wanderten hauptsächlich durch den Wald, überquerten zwei „Pässe“ die hier im mediterranen Bereich ihres Namens nicht mehr ganz so würdig waren und machten eine Mittagspause an einer wunderschönen versteckten Stelle im Wald, die perfekt zum Schwimmen geeignet war.

Versteckt war der wunderschöne Wasserfall allerdings nur im räumlichen Sinne, denn viele weitere Menschen hatten auch ihren Weg hierher gefunden. Doch das machte nichts, wir waren natürlich bereit dieses schöne Plätzchen mit anderen Menschen zu teilen, die ebenfalls gerne Zeit in der Natur verbrachten.

Diese Frau verkaufte kalte Getränke und Snacks mitten im Nirgendwo. Die kühle Cola Dose konnte mir definitiv ein Lächeln ins Gesicht zaubern! 😉

Nach der wohltuenden Abkühlung und einer Lufttrocknung in der Sonne nahmen wir uns die zweite Hälfte des Tages vor. Erneut führte der Weg bergauf und durch den Wald, war zwar wenig anspruchsvoll aber durch die Hitze nicht zu unterschätzen. Ich wurde immer noch von Magenkrämpfen geplagt und fiel etwas hinter Marijn und Lukas zurück, die glücklicherweise auf mich warteten. Die letzten 5 km legten wir auf einer Straße zurück, die uns zwar erlaubte schnell zu gehen, allerdings auch sehr zur Ermüdung unserer Füße beitrug. Kurz bevor wir den Campingplatz erreichten, sah ich Jean-Marc vor uns wandern. Uns in der Pause wiederzusehen hatte leider nicht geklappt, allerdings waren wir nun für die Nacht auf dem Campingplatz alle wieder vereint.

Wir bauten die Zelte auf, ich freute mich auf eine Dusche und anschließend aßen wir alle gemeinsam zu Abend im Campingplatz-eigenen Restaurant. Lukas und Marijn behaupteten sich als angenehme und lustige Gefährten und insgeheim hoffte ich, unsere Gruppe würde uns noch ein wenig erhalten bleiben.

Tag 42: von Albanyá nach La Vajol

Wir waren gestern alle spät ins Bett gegangen, also starteten wir heute langsam in den Tag. Ich konnte mir eine Tasse Kaffee von Marijn erschnorren (Dankeschön!) und löffelte mein Müsli aus dem Ziploc-Beutel. Lukas und Marijn wanderten bereits seit zwei Wochen gemeinsam und hatten eine Tradition entwickelt, jeden Morgen gemeinsam Porridge zu essen, welche zusätzlich aufrechterhalten wurde durch Ermangelung einer eigenen Gaskartusche in Marijns Rucksack.

Jean-Marc und ich blieben noch bis kurz nach 13:00 Uhr auf dem Campingplatz und wanderten los nachdem Lukas und Marijn schon aufgebrochen waren. Der Trail führte stetig und leicht bergauf und war so einfach zu gehen, dass wir uns problemlos unterhalten konnten, ohne groß auf unsere Schritte achten zu müssen. Am späten Nachmittag erreichten wir Maçanet de Cabrenys. Ich freute mich schon auf diesen Ort seit Marijn mir geschrieben hatte, dass es im Supermarkt veganen Joghurt gab. Wir steuerten also direkt den Supermarkt an und versorgten uns mit reichlich frischen Obst, einer Dose Coke und natürlich dem lang ersehnten veganen Joghurt. Als ich zu unseren Rucksäcken zurückkehrte waren aus zweien plötzlich vier geworden, die mir sehr bekannt vorkamen. Lukas und Marijn waren auch da. Ich hatte nicht damit gerechnet, die beiden vor dem Cap de Creus wiederzusehen, also konnte ich mir ein Grinsen nicht verkneifen. Sie würden zwar vor uns wieder aufbrechen, doch wir besprachen unsere Pläne für die kommende Nacht und würden vermutlich gemeinsam zelten.

Jean-Marc und ich suchten uns zwei Bänke, machten eine ausgiebige Pause und wurden von fiesen Stechmücken am lebendigen Leibe verspeist. Als es langsam kühler wurde setzten wir die Wanderung fort. Durch den Wald ging es noch ein kleines Stück bergauf und als sich schließlich die Abenddämmerung ankündigte und die Sicht schlechter wurde, nahmen wir einen falschen Abzweig. In unser Gespräch vertieft wanderten wir eine halbe Stunde lang in die falsche Richtung bergab, bis wir bemerkten, dass wir uns auf dem falschen Weg befanden. Im Schein der Kopflampen ging es also wieder bergauf und zurück zum Trail. Unser kleiner Umweg machte uns nicht viel aus, denn das Wandern im Dunkeln fühlte sich abenteuerlicher an als im Tageslicht und zu zweit hatten wir meistens auch viel Spaß dabei.

Um kurz nach 22:00 Uhr erreichten wir schließlich La Vajol und ich empfing eine Nachricht von Marijn mit einem Standort. Wir machten uns auf den Weg dahin und fanden die anderen beiden neben einer Forststraße. Hier war nicht besonders viel Platz also schliefen Jean-Marc und ich ohne unsere Zelte aufzubauen unter den Sternen. Es war eine klare Nacht und ich konnte meinen Blick kaum abwenden von dem gewaltigen Firmament, das über unseren Köpfen ruhte. Der Sternenhimmel zog mich immer wieder in seinen Bann und sein bloßer Anblick hatte eine beruhigende Wirkung auf mich. Ich konzentrierte mich auf meine Atmung und versank in dem tiefen Blau der Ferne.

Tag 43: von La Vajol zum Col de la Llorsada

Nach einem gemeinsam Frühstück wanderten wir in Richtung La Jonquera. Der Weg führte größtenteils durch einen lichten Nadelwald und kurz vor Mittag erreichten wir die kleine Stadt an der Grenze zu Frankreich. Hier machten wir eine Pause, kauften Verpflegung für den nächsten Tag und tranken einen Kaffee. Als wir den Ort wieder verlassen hatten, beschlossen wir recht schnell eine Siesta einzulegen und ein schattiges Plätzchen zu suchen, um die brütende Hitze auszuwarten. Lukas jedoch strotze vor Energie und wanderte direkt weiter. Jean-Marc, Marijn und ich blieben im Schatten der knorrigen Bäume, die von einem früheren Waldbrand verkohlt waren und machten ein Nickerchen.

Am späten Nachmittag setzten wir unsere Wanderung fort. Es war noch immer heiß und ich fühlte mich, als würde ich mehr Wasser verlieren, als ich jemals innerhalb eines Tages trinken konnte. Nachdem wir einen Hügel erklommen hatten, eröffnete sich vor uns in der Ferne ein Blick auf das Mittelmeer. Schüchtern versteckte es sich noch immer hinter ein paar niedrigen Bergen und Hügeln, doch die Küste war eindeutig zu erkennen und beim Anblick des tiefblauen Wassers machte sich in mir ein seltsames Gefühl breit, das ich nicht so recht ausdrücken konnte. Wir sahen das Meer nicht zum ersten Mal, doch für mich fühlte es sich an, als würde ich es zum ersten Mal wirklich wahrnehmen. Wahrnehmen, dass wir fast da waren. Wahrnehmen, dass diese Wanderung ein Ende hatte, genau wie sie einst einen Anfang hatte.

Jean-Marc und ich

Marijn lächelte und Jean-Marc sagte, er könne schon fast die Wellen sehen. Es war nicht mehr weit, dachte ich.

Der GR11 verschwand wieder im Wald und wir mit ihm. Es begann langsam zu dämmern und wir machten uns auf die Suche nach Lukas und einem geeigneten Schlafplatz. Auf einer leichten Erhebung wurden wir fündig und bereiteten uns für die Nacht vor. Ich hatte inzwischen großen Gefallen daran gefunden ohne mein Zelt unter dem Sternenhimmel zu schlafen. Die dünne Schicht Nylon, die mir ein falsches Gefühl von Geborgenheit in der Nacht spendete, war inzwischen nicht mehr von Bedarf. Ich tauschte mein Zelt gegen einen Ausblick auf die Sterne, die das dunkle Blau des Himmels eingebettet waren (und einen Meteorschauer, – LOL).

Tag 44: vom Col de la Llosarda nach Llansa

Um 5:25 Uhr klingelte mein Wecker, wir packten unsere Sachen und wanderten los, um den Sonnenaufgang auf einem nahegelegenen Gipfel zu beobachten.

Jean-Marc kochte Kaffee und wir frühstückten im Schein der aufgehenden Sonne, die sich hinter dem Berg erhob und die Umgebung in ein warmes, hellrotes Licht tauchte, welches sich langsam über die Welt ausbreitete.

Nach dem Frühstück wanderten wir hinab nach Els Vilars. Von hier führte der Weg häufig über Straßen, die glücklicherweise wenig befahren waren. Wir machten eine Kaffee Pause in einem Restaurant in einem kleinen Dorf, dessen Namen ich vergessen hatte. Der Besitzer war außerordentlich nett und bemühte sich sehr um unser Wohl (ich verstand ihn zwar nicht aber er schien sehr geduldig mit uns zu sein).

Kurze Zeit nachdem wir weiter gewandert waren durchquerten wir den nächsten Ort und machten es uns in einem kleinen „Park“ bequem um die Mittagshitze im Schatten zu verbringen. Ich litt stumm vor mich hin mit meinen allgegenwärtigen Magenkrämpfen und versuchte mir nicht zu viel anmerken zu lassen.

Am späten Nachmittag wanderten wir das letzte Stückchen nach Llansa. Ich fühlte mich nicht besonders gut und wanderte etwas abseits von den anderen.

Wir erreichten die kleine Stadt am Meer als es zu dämmern begann und machten uns auf die Suche nach einem Restaurant. Llansa war laut und voll mit Menschen und ich war nicht die einzige, die sich hier überfordert fühlte. Wir fanden eine Pizzeria in der Nähe des Strands und feierten unseren vorletzten Tag auf dem Trail. Anschließend schwammen wir in der Dunkelheit im Mittelmeer und suchten uns einen Schlafplatz. Jean-Marc führte uns den Begriff des „Vagabonding“ ein und inspirierte uns, einfach am Strand zu schlafen. Wir fanden ein halbwegs geschütztes Plätzchen hinter einer flachen Mauer und platzierten unsere vier Isomatten nebeneinander. Es dauerte nicht lange bis ich einschlief und erst am frühen Morgen von den fallenden Regentropfen geweckt wurde.

in Llansa

Tag 45: von Llansa zum Cap de Creus

Die Regentropfen weckten mich auf und halb schlaftrunken begann ich meine Sachen zu packen und an einen trockeneren Ort umzuziehen. Wir gingen zu einem nahegelegenen Haus und legten uns vor der Hauswand auf den Boden. Ohne Isomatte schlief ich neben den anderen auf der Straße ein. Die letzten zwei Stunden ohne die Matte waren so erholsam, dass ich begann das gesamte Konzept einer aufblasbaren Isomatte in Frage zu stellen – zumindest im Sommer. Als ich zum zweiten Mal aufwachte ging gerade die Sonne auf und ließ den Himmel aussehen, als stünde er in Flammen. Lukas und Jean-Marc waren bereits wach und beobachteten das beeindruckende Spektakel der Farben am Himmel.

Nachdem alles eingepackt war, machten wir uns auf den Weg, um einen Ort zum Frühstücken zu suchen. Die Wahl fiel auf ein sehr vielversprechend aussehendes Café. Ich verspürte zwar wie immer keinen Hunger, aber das Gebäck schaute so gut aus, dass ich es nichtsdestotrotz essen wollte.

Anschließend gingen wir zu einem Supermarkt, um einzukaufen. Jean-Marc und Lukas kauften sich jeweils eine Flasche Rotwein für den letzten Tag. Dann ging es los, ein letztes Mal auf den GR11, ein letztes Mal den rot-weißen Zeichen folgen, doch dieses Mal wussten wir genau, wo wir heute Nacht schlafen würden.

Der Trail kletterte heute zum letzten Mal auf einen knapp 500 Meter hohen „Berg“ und wand sich auf der Rückseite hinunter nach Port de la Selva – eine kleine Hafenstadt, in der wir unsere Mittagspause verbrachten und im Mittelmeer schwimmen gingen. Von hier aus begannen wir unsere letzten 16 km bis zum Cap de Creus, dem Endpunkt des GR11. Jean-Marc und Lukas waren bewaffnet mit einer weiteren Flasche Rotwein.

Angesichts der Tatsache, dass dies unser letzter Abschnitt war, war unsere Gruppe wenig enthusiastisch unterwegs, weshalb Marijn auf die hervorragende Idee kam, Lukas und Jean-Marc, die hinter uns wanderten, mit kleinen „Eastereggs“ auf dem Trail bei Laune zu halten. Nachdem wir einen Pfeil aus Steinen und Kakteen auf dem Boden platziert hatten und die beiden sehr unbeeindruckt daran vorbei gelaufen waren, mussten wir uns etwas mehr ins Zeug legen.

Teil 1/2 unseres GR 12.5 Kunstwerks, das fälschlicherweise als GR 123 verstanden wurde

Nach einiger Zeit blieb ich etwas zurück um meine aufgeschürfte Haut zu behandeln. Durch das viele Schwitzen, das Salzwasser, die Reibung in meiner Bikinizone und die ständige Feuchtigkeit war meine Haut extrem irritiert. Mit einer Flasche Wasser versuchte ich den Schweiß und das Salz abzuspülen und verarztete alle betroffenen Bereiche mit einer großen Menge Vaseline. Weil ich nicht früh genug begonnen hatte das Problem zu beheben, war meine Haut an einigen Schellen schon blutig und brannte bei jedem Schritt. Zum Glück war es der letzte Tag.

Die anderen warteten auf mich und gemeinsam wanderten wir in der hereinbrechenden Dunkelheit zum Leuchtturm auf dem Cap de Creus, der das Ende unserer Wanderung schon aus der Ferne markierte. Naja – der eigentliche Endpunkt des Trails war das Mittelmeer. Hinter dem Leuchtturm kraxelten wir über steiniges Terrain das im Schein unserer Kopflampen wie eine Mondlandschaft wirkte. Nachdem wir uns verlaufen hatten, beschlossen wir morgen bei Tageslicht zum Meer hinunterzugehen, wenn es weniger gefährlich war.

Wir fanden eine einigermaßen flache Stelle in dem kantigen Gestein, das einst von der Kraft des Meeres geformt worden war, setzten die Rucksäcke ab und machten es uns gemütlich. Lukas zündete zwei Teelichter an. Die kleinen Flammen wanden sich und tanzten im Wind als sie versuchten den starken Böen vergeblich standzuhalten. Wir sprachen über die Wanderung, was wir erlebt hatten und was den GR11 für jeden von uns zu einem unvergesslichen Erlebnis gemacht hatte. Auch wenn ich nur wenige hundert Meter vom Mittelmeer entfernt saß, war ich noch nicht wirklich angekommen. In meinem Kopf herrschte eine gähnende Leere und es fiel mir schwer zu begreifen, dass diese Reise hier enden sollte.

Wenn man für einen so langen Zeitraum auf ein gewisses Ziel hinarbeitet – oder, darauf hinzu geht – kommt man kaum umhin, sich nicht Gedanken über das Ende zu machen. Für mich war es dieses Mal anders. Dieses Jahr traf mich das Ende unvorbereitet – obwohl ich Tag für Tag in genau diese eine Richtung gewandert war. Aber das was am Ende zählt, sind all die einzelnen Tage auf dem Trail, welche unterschiedlicher nicht sein könnten, die Erfahrungen, die ich gemacht habe, die Menschen, die ich traf und die ehrlichen Gespräche, die ich mit ihnen führte. Nicht das eigentliche Ankommen an einem Punkt, von dem ich mir Monate vorher in den Kopf gesetzt hatte, ich würde ihn eines Tages erreichen.

Diese Überquerung der Pyrenäen beschenkte uns mit einem Reichtum an unterschiedlichsten Ausblicken und einem sich stetig wandelnden Gelände. Das Basquenland mit seinem feucht-warmen Klima und den sanften und saftig grünen Hügeln wärmte uns auf für unsere nächste Herausforderung; die schroffen Gipfel der hohen Pyrenäen, die ausgesetzten Pässe und die Abgelegenheit. Die Fülle an Wasser in Form von lebendigen Bächen die das Tal hinabstürzten und glasklaren Bergseen, in denen sich die Gipfel spiegelten waren ein Geschenk der Natur. Hin und wieder versuchten die Berge uns einzuschüchtern mit dunklem Donnergrollen in weiter Ferne oder direkt über unseren Häuptern. Regen verwandelte sich in Hagel, der rücksichtslos auf uns niederprasselte, nur um wenige Minuten später wieder von der glitzernden Sonne abgelöst zu werden. Die mediterranen Pyrenäen bereiteten uns schließlich sanft auf das Ende vor. Zwischen Bergen und Meer lag ein Geruch von Kiefernnadeln in der Luft und die brennende Hitze bremste uns aus. Wir wanderten bis in die Dunkelheit und schliefen unter einem Sternenhimmel, der zum träumen einlud.

Unsere letzte Nacht verbrachten wir am Cap de Creus. Lukas und Jean-Marc schliefen in einer kleinen Höhle, die scheinbar gemütlicher aussah, als sie tatsächlich war. Der starke Wind blies in die Schlafsäcke und fegte durch die Höhle. Marijn und ich hatten windgeschütztere Schlafplätze auf der anderen Seite einer Felswand.

Wie Mama so schön sagte, sahen meine Schlafplätze zunehmend nach „illegaler Müllhalde“ aus

Tag 46: Das Mittelmeer

Das Klingeln meines Weckers riss mich aus einem Traum und als ich die Uhrzeit auf meinem Handy-Display sah, stellte ich fest, dass ich bereits mehrere Wecker verschlafen hatte. Ich blieb noch ein wenig liegen und als ich die Sonne aufgehen sah, kroch ich aus meinem Schlafsack und suchte mir einen Weg hinunter zum Meer. Ich schaute hinaus in die Ferne während mir die Sonne rötlich ins Gesicht schien und der Wind durch mein Haar fegte. Der Geruch von Salzwasser lag in der Luft und das Rauschen der Wellen vereinte sich mit dem Klang des Windes, der gegen die Felsen peitschte.

Sonnenaufgang Am Cap de Creus

Ich kehrte zu unserem Lager zurück und wir gingen gemeinsam das letzte Stück bis zum östlichen Terminus des GR11.

Angekommen!

Nach 820 Kilometern, 45 Tagen und 1.207.354 Schritten erreichte ich das Mittelmeer. Ein paar Tage benötigte ich noch um vollständig zu realisieren und zu verarbeiten, dass ich eine komplette Gebirgskette zu Fuß überquert hatte. Diese Wanderung hatte mich vor sehr viel mehrere Herausforderungen gestellt, als vorher erwartet. Die andauernde Krankheit zehrte nicht nur an meiner Kraft, sondern auch an meinem Geist. Umso glücklicher bin ich jetzt, dass ich an den schlechten Tagen nicht aufgegeben, sondern nach vorne geschaut habe. Die einfache Entscheidung entpuppte sich letztendlich als die schwerere: Als ich eine Woche nach Benasque entschieden hatte, meine Wanderung zu beenden, da es mir nicht besser ging, wusste ich sofort, dass ich nicht bereit war aufzugeben. Besonders auf der zweiten Hälfte der Wanderung oszillierten meine Gefühle irgendwo zwischen hohen Höhepunkten und tiefen Tiefpunkten. Doch die Höhepunkte versorgten mich mit genug Kraft um auch die Tiefpunkte zu überstehen.

Ich glaube, unsere tiefe Verbundenheit mit der Natur machte uns mit jedem Tag widerstandsfähiger für ungeahnte, neue Herausforderungen. Das Ausreizen und Austesten unserer eigenen Grenzen zeigte uns, wie viel mehr möglich ist, wenn wir uns nur trauen.

Für mich bedeutet Fernwandern auch eine Rückkehr zu dem, was wirklich zählt. Ein neuer Fokus für ein unscharf gewordenes Bild. Was diese Wanderung für mich unvergesslich macht sind die ehrlichen, kreativen und liebevollen Menschen, mit denen ich einige der besten und schwierigsten Momente auf dem Trail teilen durfte.

Abschließen noch vielen Dank an alle Leser:innen, ich freu mich immer wieder euch auf meinen Reisen dabei zu haben. Vielen Dank an alte und neu gefundene Freunde für eure Unterstützung und ein offenes Ohr.

Eure Helena ❤️

PS: dieser Blogbeitrag hat mich übrigens 72€ gekostet, weil ich ihn auf meiner Heimreise im Zug verfasst und während meiner Durchfahrt durch die Schweiz mein internationales Roaming nicht ausgeschaltet hatte. Spendenaufruf folgt!

  1. Aug 29, 2022 9:58 pm

    Liebe Helena,
    wieder einmal einen kompletten Fernwanderweg geschafft!Klasse!Bei diesem Trail erschienen mir
    als Leserin und deine Mutter die Höhen und Tiefen beinahe schwindelerregend….zwischendurch war ich doch recht besorgt wegen der auftretenden Probleme.Hab schon mit gelitten,kann ich sagen.Alle Erwägungen erschienen plausibel und am Ende war ich froh,dass du die für dich richtige Entscheidung getroffen hast. All deine wunderbaren Bilder,Begegnungen und überwundenen körperlichen Probleme werden dich allemal wieder begleiten,erfüllen,prägen und vermutlich wieder ein Stück weit stabiler im Leben machen.Stolz auf’s Durchhalten ist schon etwas tolles!
    Dein Blog als meine Abendlektüre wird mir fehlen.Unser persönlicher familiärer Abenteuerroman ist schon beinahe zum abendlichen Ritual avanciert.
    Trotzdem bin ich am Ende immer wieder sehr glücklich dich wieder heil in die Arme schließen zu können.
    …..allerdings nur bis zum nächsten Trail…..
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