Helena Algermissen
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Washington Part 6 – Adventure awaits!

Liebe LeserInnen, leider gab es in der letzen Woche kein Update auf meinem Blog. Das lag zum einen daran, dass ich nicht wirklich in Stimmung war zu schreiben und zum anderen daran, dass nichts aufregendes passiert ist. Die Arbeit auf der Farm ist langsam Routine geworden und somit gibt es nicht mehr allzu viel Neues zu berichten. Von nun an wird sich der Blog eher auf unsere Abenteuer und Erlebnisse beschränken mit ein wenig Farm-life dazwischen. Außerdem wird der Blog vermutlich nicht mehr wöchentlich erscheinen, sondern immer mal dann, wenn genügend Text zustande kommt. Einen kontinuierlichen Lesefluss könnt ihr dann auf meiner Fernwanderung wieder genießen 🌚

Sonntag, 08. Mai 2022

Kennedy war über das Wochenende nach Seattle gefahren und traf sich dort mit einem Freund. Ich hatte somit das ganze Wochenende für mich alleine und nutzte die Zeit für eine Wanderung zum und auf den Fourth of July Mountain, und eine Fahrradtour nach Chelan. Seth gab mir eines der vielen Fahrräder, die auf der Farm herumstanden und einen Helm, sodass ich mich in neue Abenteuer stürzen konnte. Bis nach Chelan waren es 15 hügelige Kilometer, mit weitläufigen Ausblicken auf den gleichnamigen Lake Chelan, die North Cascades und die uns umgebenden Weinberge. Das geliehene Fahrrad war nicht ansatzweise so luxuriös wie mein Gravelbike zuhause, doch ich war froh, mich nun auf zwei Rädern fortbewegen und die Gegend noch auf ganz andere Weise erkunden zu können.

Montag, 09. Mai 2022

Da Kennedy erst heute Abend auf die Farm zurückkehren würde, musste ich den ganzen Tag alleine Unkraut im Spargelbeet jäten. Doch da die Sonne schien und Curly mich immer wieder besuchen kam, war das eigentlich ganz erträglich. Curly ließ sich kraulen, wälzte sich im Beet und wenn ich ihm nicht genug Aufmerksamkeit schenkte, schlief er einfach in der Sonne neben mir ein. Ich musste mich nur im Schneidersitz irgendwo hinsetzen, ein paar Minuten warten und schon kam Curly angelaufen und machte es sich in meinem Schoß bequem. Diese Fotos habe ich aufgenommen während Curly schlief:

Am Nachmittag zeigte mir Seth im Labor wie man Seife herstellte. Die wichtigsten Zutaten dafür waren flüssiges Öl (zB. Olive, Kastor) festes Öl (Shea Butter, Kokosöl), sowie ätherische Öle für den Geruch (Lavendel, Rosen, oder was das Herz begehrt) und Natronlauge (NaOH). Seth fügte noch grünen Tee und gemahlene Brennnessel Blätter hinzu, da diese scheinbar sehr wohltuend für die Haare sein sollten.

Wir erhitzen die festen Öle und sobald sie geschmolzen und leicht abgekühlt waren, vermischten wir sie mit den anderen Zutaten, sodass sich eine leicht gelbe, samtige Masse ergab. Eine kleine Portion des Gemisches wurde beiseite gestellt und mit rotem Lehm vermischt, dieser dient allerdings nur zur Einfärbung der Seife.

Seth goss die gelbe Masse in eine große Form und verzierte sie schließlich mit einem Holzspachtel und ein wenig von der roten Seifenmasse. Das Ganze wurde mit einem Trennteil für die einzelnen Seifenstücke versehen und das war’s schon. So leicht kann man Seife selber machen! Wir stellten die Form mitsamt der härtenden Seife in eine Plastikbox, wo die über Nacht aushärten sollte.

Nun musste die Seife nur noch fest werden

Dienstag, 10. Mai 2022

Den Rest der Woche verbrachten wir mit der Bed Prep für die Kürbisbeete und der Herstellung von IMO 3 (mehr dazu weiter unten). Ganz am Ende der Farm, gut versteckt hinter dichtem Gebüsch und Bäumen befand sich das größte Beet von allen und es war für die Kürbisse reserviert. Seit letztem Jahr hatte die Natur hier freien Lauf und somit gab es jede Menge Unkraut zu rupfen. Anschließend musste noch die Bewässerung repariert werden.

IMO steht für Indigenous Microorganisms, also quasi „heimische Mikroorganismen“, wie zB. Bakterien, Pilze, Protozoen und Nematoden. Sie sind der wichtigste Bestandteil in der Praxis des Korean Natural Farming (KNF)! Wie der Name schon sagt, sind sie heimisch, und das beste ist, es ist gar nicht so schwer, sie zu vermehren oder zu züchten.

Die Bodengesundheit ist eines unserer höchsten Güter, denn Erosion und Ammoniaklaugung sind nicht nur ein Problem für das, was auf unserem Teller landet. Viele mehrzellige Organismen leiden ebenso, darunter schlussendlich und unausweichlich auch wir Menschen.

Der einfachste Weg, die Nährstoffe im Boden zu erhalten bzw. zu regenerieren ist mithilfe des Einsatzes von Düngern. Doch die sind nicht gerade billig. Im KNF werden heimische Mikroorganismen kultiviert und wieder in die Erde eingebracht, wo sie eine Symbiose mit den Nutzpflanzen eingehen: die Mikroorganismen konvertieren Nährstoffe in eine Form, in der die Pflanze sie absorbieren kann. Im Gegenzug stellt die Pflanze Nahrung für die Mikroorganismen bereit. KNF stellt einen geschlossenen Kreislauf dar: Abfälle werden wiederverwertet und externe Einflüsse minimiert. Dabei ist das System vielseitig und kann sich an lokale Umstände anpassen.

Im traditionellen Korean Natural Farming werden Substrate wie zB. Reiskleie für die Kultivierung der Mikroorganismen verwendet. Seth hat für unseren Standort das Rezept angepasst, denn tatsächlich kommt es eher auf die molekulare Struktur der Inhaltsstoffe an, nicht auf das Getreide selbst. Somit macht Weizenkleie einen eben so guten Job. Außerdem benötigt man Fermented plant Juice (den haben wir ja schon hergestellt), oriental herbal nutrient(OHN) – ein Fermentationsprodukt aus Knoblauch, Zimt, Süßholz und Ingwer, eine Kohlenhydrat Quelle und eine Kohlenstoffquelle als Nahrung für die Mikroorganismen. (Rein theoretisch ist eine Kohlenhydratquelle natürlich gleichzeitig immer eine Kohlenstoffquelle, da Kohlenstoff ein wichtiger Bestandteil der Ringstruktur von Zuckermolekülen ist).

Okay, aber wie stellt man sich das ganze jetzt vor?

In zwei großen Behältern mischten wir Kiefernholz Raspeln und Holzspäne mit Wasser, und ließen sie sich vollsaugen. Anschließend gingen wir mit Seth in den Wald, schlugen uns durchs Gebüsch und sammelten „Worm Poop“ also Wurmkot neben einem kleinen Bach. In der feuchten Erde lebten viele Regenwürmer und diese fraßen und verdauten organisches Material, was scheinbar viele positive Eigenschaften besaß: Wurmkot hat einen neutralen pH-Wert, ist reich an Stickstoff und Mikroorganismen (genau die wollen wir!) und hilft der Erde Feuchtigkeit zu speichern. Der Wurmkot lässt sich optisch sehr schwer von der Erde unterscheiden, doch Seth erklärte uns genau, worauf man achten musste, denn es kam auf die Konsistenz an.

OHN, FPJ und Wurmkot wurden mit Wasser zu einer bräunlichen Flüssigkeit verdünnt. Dann häuften wir eine große Ladung Weizenkleie auf den Boden und vermischten nach und nach alle Zutaten. Mit den Händen kneteten wir zu dritt in dem großen Haufen und verteilten die Feuchtigkeit. Er wurde anschließend mit einem Stück Stoff und etwas Gras abgedeckt. Nun konnten sich die Mikroorganismen vermehren, denn sie hatten alles, was sie für ihren Stoffwechsel brauchten.

Wenn das IMO 3 fertig ist, kann es mit der Erde vermischt werden und dient als eine Art Dünger. Mikroorganismen sind wie gesagt unglaublich wichtig für die Erde und sie sind mit dieser Methode leicht in nur wenigen Tagen zu vermehren.

Das hört sich natürlich nach relativ viel Arbeit an, und das ist es auch. Kostengünstiger als synthetische Dünger ist es auch nicht zwangsläufig, wenn nicht alle Materialien auf der Farm verfügbar sind, exklusive Arbeitszeit. Ein großer Vorteil des KNF ist jedoch, dass es keine externe Einflüsse benötigt und auf lokale und natürliche Rohstoffe zurückgreift.

Freitag, 13. Mai 2022

Wir waren fast den ganzen Tag mit Unkraut jäten beschäftigt, später pflanzten wir noch etwas mehr Salat und ich freute mich, heute schon um 15:00 Uhr die Arbeit zu beenden, um wieder eine Nacht auf dem Fourth of July mountain zu verbringen. Ich packte meinen Rucksack – was inzwischen schon wieder Routine geworden war – und machte mich auf den Weg. Wandern, Bewegung und Zeit in der Natur zu verbringen half mir schon immer dabei, meinen Kopf frei zu bekommen. Manchmal war es, als würden sich alles fügen, sobald man nur aus der richtigen Entfernung auf ein Problem schaute.

Also erklomm ich den Gipfel, stellte mein Zelt auf, hing meine Nahrung in den Baum und kuschelte mich in meinen warmen Schlafsack, als es schließlich zu kalt wurde, um gemütlich vor dem Zelt zu sitzen. Und die ganze Zeit, die ich auf dem Gipfel verbrachte tat ich nicht viel anderes als nachdenken, denn hier oben waren meine Gedanken geordneter und rasten nicht hin und her, als dass ich sie nicht fassen oder zu Ende denken könnte.

Mein kleines Zuhause

Montag, 16. Mai 2022

Ich hatte gestern mit Seth einen Deal ausgehandelt, am Sonntag zu arbeiten. Leider war dieser auch zugleich der einzige regnerische Tag der ganzen Woche und ich hätte lieber in meinem Wohnwagen etwas gelesen, oder mit den Katzen gekuschelt. Dafür konnte ich mit gutem Gewissen für drei Tage die Farm verlassen! Seit ich in Washington angekommen war, freute ich mich darauf, nach Stehekin zu wandern. Stehekin ist ausschließlich zu Fuß oder mit der Fähre erreichbar und liegt mitten in den Bergen am Lake Chelan. Nachdem ich aufgrund des schlechten Wetters meine Wanderung noch einmal verlegen musste, war es heute endlich so weit. Kennedy fuhr mich morgens noch vor der Arbeit zum Bootsanleger und wir verabschiedeten uns. Ich gesellte mich zu den anderen wartenden Fahrgästen und kam sehr schnell mit einem amerikanischen Ehepaar ins Gespräch. Sie waren freundlich und hatten mich aufgrund meines Rucksacks angesprochen, der mich eindeutig als Fernwanderin verriet. Es stellte sich heraus dass der Mann für viele Jahre ein Park Ranger in unterschiedlichen Nationalparks in den Vereinigten Staaten gewesen war. Er erzählte mir von den Bergen, vom Schnee und von den Waldbränden. Er und seine Frau wären inzwischen zwar über 70, aber wandern gehen würden sie immer noch.

Um 8:30 Uhr war es endlich so weit, wir traten an Bord der Fähre und ich suchte mir auf dem Oberdeck den Platz mit der besten Aussicht. Durch den Fahrtwind fühlte es sich viel kälter an, als es eigentlich war und ich zog alles an, was ich dabei hatte.

Während der zweistündigen Fahrt blickte ich ununterbrochen in die Berge und genoss die Aussicht, während die Zivilisation immer dünner wurde, je weiter wir uns von Chelan entfernten. Ich liebte es, den starken Wind in meinem Haar zu spüren und der Landschaft dabei zuzusehen, wie sie sich stetig wandelte. Die Berge wurden höher, bald schon sah ich die ersten noch von Schnee bedeckten Bergspitzen, die sich links und rechts des Sees in den Himmel erhoben.

Nach ungefähr zwei Stunden erreichten wir Prince Creek, den Drop-off Point für Wanderer auf dem Lakeshore Trail. Besucher konnten entweder hier aussteigen und 30 km nach Stehekin wandern, oder mit der Fähre direkt bis zum Ende des Sees fahren.

Gemeinsam mit mir verließen noch ein paar andere Wanderer die Fähre und schon ging es los. Sobald ich den ersten Fuß auf den Trail gesetzt hatte, fühlte ich mich, als wäre ich zurück in meinem Element. Mein Körper wurde durchflutet von Glückshormonen, ausgelöst von der Bewegung, dem Geruch der Kiefernnadeln und dem Anblick der atemberaubenden Kulisse. Ich wanderte zunächst alleine und hängte alle anderen hinter mir ab. Der schmale Pfad war gesäumt von Okanagan Sunflowers, Lupinen und vielen anderen Blumen, die ich nicht benennen konnte. Manchmal fühlte es sich an, als würde ich durch ein buntes Meer aus allen Farben der Natur schreiten. Hier und da hielt ich an, um den Blick schweifen zu lassen, ich wollte alles an dieser Schönheit absorbieren und nie wieder vergessen.

Ein Traum!!!

Ich lauschte dem Gesang der Vögel, dem Plätschern der Wellen, die gegen das Seeufer rollten und dem Wind in den Baumwipfeln. Später passierte ich viele Bäche, die durch das frühjährliche Schmelzwasser den Berg hinab rauschten. Auf einem Baumstamm balancierend überquerte ich einen sehr breiten Bach, füllte meine Flasche auf und setze mich in die Sonne um etwas zu essen. Die Tortillas hatten sich in Slowenien bewährt und ich blieb ihnen treu – heute mit Avocado und Hummus. Anschließend blieb ich noch eine Weile in der Sonne sitzen und genoss die Ruhe und Einsamkeit.

Nach einiger Zeit kamen zwei Männer an mir vorbei vorbei. Ich hatte mit ihnen bereits auf der Fähre kurz gesprochen und wir kamen erneut ins Gespräch. Sie stellten sich vor als Cas und Kayur. Ich fragte, wie weit die beiden heute wandern wollten, und sie sagten, dass sie sich zwar nicht sicher seien, aber es versuchen würden bis zum Flick Creek Campground zu wandern (~25 km). Wir schlossen uns zusammen und die beiden erzählten mir, dass sie bei Apple arbeiteten, woran genau durften sie mir leider nicht sagen. Einer von ihnen war Grafikdesigner und der andere Software Engineer (ist man wirklich in Amerika wenn man niemanden von Apple trifft?). Wir hatten eine Menge Spaß zusammen und ich genoss die Gesellschaft der beiden. Sie waren offen und fröhlich und ich hörte ihnen gerne dabei zu, wie sie über ihr Leben erzählten. Kayur war bereits verheiratet und hatte 2 Kinder. Seine Frau hatte Poesie und Literatur studiert, promoviert und ein Buch geschrieben, nachdem sie einen Preis gewonnen hatte (Wahnsinn!!). Gemeinsam wanderten wir durch die Wälder, blieben immer mal wieder stehen um die Ausblicke zu genießen oder uns in die Sonne zu setzen.

Um 19:00 Uhr erreichten wir endlich die Flick Creek Campsite. Die Sonne war fast hinter den Bergen verschwunden, aber es war noch immer sehr hell. Wir bauten unsere Zelte auf – was sich durch den starken Wind als nicht ganz so einfach erwies – und kochten uns Abendessen. Die beiden hatten Fertignahrung dabei: Shakshouka und Lasagne. Ich durfte probieren, aber ehrlich gesagt schmeckte es mir nicht besonders gut. Da blieb ich lieber bei meinem geliebten und selbstgemachten Curry, am ersten Tag sogar noch mit frischem Spinat.

Was für ein Ausblick!

Neben uns war noch ein älterer Mann auf der Campsite, der sich als Ray (oder Rae) vorstellte. Er lebte in Granite Falls und wanderte schon sein ganzes Leben lang. Immer wieder kam er in die Wälder vor Stehekin und zeltete mit seinem Hund Hank. Er erzählte uns viel über die Umgebung und über alle seine Reisen. Er war sogar schon den PCT in Washington gewandert und ein paar weitere Trails in Italien, Island und Schottland. Noch dazu ist er mit einem Kanu durch die Wildnis Schwedens gepaddelt, ein Traum! Ray war 77 Jahre alt und für mich eine unglaublich inspirierende Person. Nicht nur wegen seiner Liebe und seines Wissens über die Natur. Er machte in unserem Gespräch einen sehr intellektuellen Eindruck, liebte Bücher und war bis zu seiner Rente Englischlehrer gewesen. Ein paar Buchempfehlungen habe ich mir gleich mitgenommen. Ray hatte viele Orte der Welt gesehen, doch hierhin kehrte er immer zurück. Und ich verstand warum: diese Gegend war wirklich etwas ganz besonderes. Als ich ihm von meinen Wanderungen erzählte, lächelte er und sagte, ich solle das jetzt ruhig machen, solange ich noch jung bin. Wir saßen noch ein paar Stunden gemeinsam am Lagerfeuer und unterhielten uns, bis wir um 22:00 Uhr schließlich alle in unsere Zelte krochen.

Dienstag, 17. Mai 2022

Ich wachte als erste auf, doch da es draußen ziemlich kalt war, blieb ich noch ein wenig in meinem warmen Schlafsack eingekuschelt. Irgendwann trieb mich der Hunger aber aus dem Bett, also baute ich meinen Campingkocher vor dem Zelt auf, sodass ich ich mich noch nicht von meinem Schlafsack verabschieden musste, und kochte mir Porridge. Während die blaue Flamme des Gaskochers leise zischte beobachtete ich die Berge und den leichten Wellengang des Lake Chelan. Der Himmel war bedeckt, aber auch der Wind hatte nachgelassen.

Nach und nach wurden auch die anderen wach und um 8:00 Uhr brachen wir das Lager ab und machten uns auf den Weg nach Stehekin. Da wir gestern schon über 20 Kilometer gewandert waren, war die heutige Etappe eher kurz.

Von links nach rechts: Ray, Cas, ich und Kayur ; vorne: Hank
Hank

Wie schon gestern wanderten wir durch den dichten Wald und ein buntes Meer aus Blumen entlang des Seeufers. Hier und da passierten wir einen kleinen Bach oder Wasserfall und um 10:00 Uhr erreichten wir Stehekin! Für Cas und Kayur war die Wanderung nun vorbei, die beiden würden heute mit der Fähre zurück nach Chelan und schließlich nach Seattle fahren. Doch ich hatte noch einen ganzen Tag und erkundete noch ein wenig die Gegend.

Stehekin

Bevor die beiden abreisten, saßen wir noch gemeinsam am See, tauschten unsere Nummern aus und ließen die Füße ins Wasser baumeln. Ich war sehr froh, die beiden getroffen zu haben, doch ich freute mich sehr darauf, noch einen weiteren Tag in der Gegend zu verbringen. Am Bootsanleger verabschiedete ich mich von Cas, Kayur, Hank und Ray. Letzterer wünschte mir noch viel Erfolg auf meinen Abenteuern und alles Gute für meine Fernwanderung auf dem GR11. Ich bedankte mich und machte mich auf den Weg in Richtung der Berge.

Zunächst wanderte ich ein paar Kilometer auf der einzigen Straße in Stehekin. An ihr lagen eine Postfiliale, ein kleiner Laden und einige einzeln verstreute Holzhäuser. Der Himmel war inzwischen aufgeklart und es war ein wunderschöner sonniger Tag. Je länger ich auf der Straße wanderte, desto tiefer gelangte ich in den dichten Nadelwald, für den Washington bekannt ist.

Nach einiger Zeit erreichte ich den „Stehekin Garten“ zu meiner rechten. Am Tor hing ein Schild mit der Aufschrift „come on in“ also öffnete ich es und trat hinein. Karl, der Besitzer war gerade dabei eines der Felder zu präparieren. Der Stehekin Garten ist der Ort an dem meine Freundin Vivian jedes Jahr ihren Sommer verbringt. Sie hilft Karl, der inzwischen über 70 Jahre alt ist auf der Farm. Vivian und ich „kennen“ uns seit ihrer Fernwanderung 2019 auf dem PCT. Alex und ich haben damals ganz gespannt ihre Reise von Mexiko nach Kanada auf Instagram verfolgt und irgendwann bin ich mit ihr ins Gespräch gekommen. Damals hatten wir geplant den PCT 2021 zu wandern, was durch Covid ja leider ins Wasser gefallen ist. Vivian und ich sind immer in Kontakt geblieben und haben über das Wandern, unsere Liebe für die Natur und andere Themen geschrieben. Sie war letztendlich auch diejenige, über die ich Seths Farm entdeckt habe! Sie hatte 2020 für ein paar Wochen dort gearbeitet und mir die Farm sehr ans Herz gelegt. Ab Mitte Juni ist sie in Stehekin und ich werde auf jeden Fall hierher zurückkehren, gemeinsam mit ihr wandern gehen und Karl und ihr ein wenig im Garten helfen.

Karl wanderte übrigens selbst vor mehr als 40 Jahren den PCT und entschloss sich danach, hier eine kleine Farm zu errichten. Er verkauft selbsthergestellte Produkte und baut eine Menge verschiedenes Obst und Gemüse an. Nachdem ich ihn auf dem Feld getroffen hatte, stellte ich mich vor und er teilte mir mit, dass Vivian schon viel von mir erzählt hatte. Wir unterhielten uns ein wenig und Karl sagte mir, dass er schon seit 43 Jahren hier lebte und den Garten bewirtschaftete. Man merkte ihm förmlich an, dass er hier glücklich und zufrieden war.

Hinten im Garten gab es eine Überdachung, die Karls kleines „Geschäft“ darstellte. Hier fanden sich alle möglichen Formen von Edelsteinen und Kristallen, Flaggen aus dem Himalaya und natürlich die selbst gemachten Produkte wie zB. Ziegenjoghurt, Müsli, verschiedene Seifen, Honig, und und und. Das beste waren allerdings die fünf Tafeln die er im Laufe der Jahre aufgehängt und selbst beschrieben hatte:

„Gesundheit bedeutet innerer Frieden“
„Alle Formen des Lebens sind miteinander verbunden“
„Meister des Lebens sind jene, die sich in jeder Situation für die Liebe entscheiden“
„Je schneller du dich von der Vergangenheit loslöst, desto schneller wirst du Freiheit und Frieden finden“
„Stille ist der Weg um das Unbekannte zu erforschen“
„Das Jetzt ist die einzige Zeit, die es gibt“

Das ist nur ein Ausschnitt von allem, was Karl in den letzten Jahren gesammelt hatte, doch besonders das letzte Zitat rufe ich mir immer wieder in den Kopf. Seit ich es zum ersten Mal bei Vivian gelesen hatte, verging kaum ein Tag, an dem ich nicht an diesen Spruch gedacht hatte. Ich verbringe die meiste Zeit meines Tages in meinen eigenen Gedanken und finde mich ganz unbewusst fast ausschließlich in der Zukunft oder in der Vergangenheit wieder. Es ist ein wichtiger Teil von Verantwortung, an die Zukunft zu denken, und aus der Vergangenheit zu lernen, doch ich finde, Karl hat recht. Das Hier und Jetzt, ist die einzige Zeit die es gibt und manchmal haben wir mehr davon, nicht der Vergangenheit hinterher zu trauern oder auf die Zukunft zu warten, voller Angst, Hoffnung oder vielleicht auch Gleichgültigkeit, sondern das Hier und Jetzt zu genießen und präsenter zu sein. Das Zitat hat in mir eine starke Resonanz ausgelöst, ich stimme wahrlich nicht allem zu, aber besonders dieser Satz hat mich inspiriert.

Ich verabschiedete mich von Karl und sagte ihm, ich würde morgen noch einmal vorbeikommen, um etwas zu kaufen, doch jetzt war es Zeit für die nächste Wanderung! Leider hatte man mir mitgeteilt, dass alle hochalpinen Wanderwege noch nicht begehbar waren, doch ich fand den „Rainbow Loop Trail“ der nicht ganz so weit hinauf führte und schon schneefrei war. Ich wanderte zunächst noch ein Stück entlang der Straße in Stehekin und erreichte die Bäckerei, die für ihre Zimtschnecken berühmt, aber leider geschlossen war. Etwas später schlängelte sich der Weg den Berg hinauf und führt durch einen wunderschönen Nadelwald. Der altbekannte Geruch von Kiefernnadeln war zurück und je höher ich stieg, desto schöner wurde der Ausblick auf die schneebedeckten Berggipfel, die das Tal umgaben. Heute traf ich keine Menschenseele auf der Wanderung, doch ich genoss die Ruhe und die Einsamkeit der Natur, die zugleich eine gute Gesellschaft darstellte. Auch hier passierte ich viele reißende Bäche und Flüsse und der Wald war saftig grün und voller Leben.

Gegen Nachmittag kehrte ich ins Tal zurück und suchte nach einer Campsite für die Nacht. Ich überquerte den rauschenden und mit Schmelzwasser der Berge gefüllten Stehekin River und wurde schnell fündig. Direkt neben dem Fluss konnte ich mein Lager aufschlagen und bis zum Sonnenuntergang meine Füße im Wasser kühlen. Alle Wolken, die zuvor noch den Himmel bedeckt hatten, waren verschwunden und über mir ruhte ein strahlend blauer Himmel, der den Fluss türkisblau erscheinen ließ. Ich zog meine Schuhe aus und watete durch das kristallklare Wasser, es war bitterkalt, aber fühlte sich unglaublich gut an.

Ein paar Stunden saß ich noch in der Sonne, lauschte dem Fluss und den zwitschernden Vögeln bis ich ich schließlich etwas zu essen kochte. Die letzten zwei Tage, die ich nun ausschließlich in der Wildnis verbracht hatte, waren für mich der Inbegriff von Freiheit. Ständig erinnerte ich mich an meine letzte Fernwanderung in Slowenien. Einen Fuß vor den anderen zu setzen und Tag für Tag im Einklang mit der Natur zu leben machte mich glücklicher, als alles andere. Und zum Glück habe ich im Sommer ja noch fast 1000 km vor mir 😉

Mittwoch, 18. Mai 2022

Um 4:30 Uhr riss mich das Prasseln des Regens auf meinem Zelt aus meinem leichten Schlaf. Die Sonne ging gerade erst auf, also drehte ich mich um und versuchte ein wenig weiterzuschlafen. Der Gedanke meinen warmen Schlafsack zu verlassen war nicht gerade ansprechend und vielleicht würde der Regen ja wieder aufhören.

Zwei Stunden später kann ich euch sagen, der Regen war stärker geworden. Ich stellte meinen Gaskocher vor dem Zelt auf, kochte mir Porridge und schloss den Eingang schnell wieder um drinnen zu essen. Es war eigentlich ganz gemütlich mit einer warmen Tasse Porridge in den Händen und dem prasselnden Regen über mir. Die Vögel, die zuvor eher leise im Hintergrund zu hören gewesen waren, begannen plötzlich laut zu zwitschern, als hätte jemand die Lautstärke aufgedreht.

Ich wartete noch ein wenig in meinem Zelt und hörte Musik, doch als der Regen nicht aufhören wollte, beschloss ich alles zusammenzupacken und zurück nach Stehekin zu wandern. Mein Zelt war klitschnass und somit auch ich nachdem ich es zusammengefaltet hatte. Nachdem alles im Rucksack verstaut war, machte ich mich zunächst auf den Weg zu Karl. Im Regen wanderte ich entlang der Straße, und ließ meinen Blick durch den grünen Wald schweifen. Die wunderschöne Vegetation in den Bergen haben wir nur den hohen Niederschlagsmengen zu verdanken und daher nehme ich sie auch gerne in Kauf. Zwei mal hielten Autofahrer neben mir an und fragten mich, ob sie mich mitnehmen sollten. Doch ich war eigentlich ganz zufrieden und warm eingepackt in einer Daunen- und Regenjacke, also lehnte ich dankend ab.

Als ich Karls Garten erreichte war er gerade draußen. Er erzählte mir, dass er gestern Vivian geschrieben hatte, dass ich da gewesen sei. Ich kaufte bei ihm eine Packung selbst gemachtes Müsli und getrocknete Früchte und Karl gab mir noch ein Glas Honig für Seth und Katie mit. Anschließend verabschiedeten wir uns bis Mitte Juni und ich setzte meine regnerische Wanderung fort.

Den Bootsanleger erreichte ich schon um 9:00 Uhr, doch meine Fähre würde Stehekin erst um 12:30 verlassen, also hatte ich noch reichlich Zeit. Es gab ein öffentliches WC in der Ranger Station, also nutzte ich die Chance um meinen Körper nach Zecken abzusuchen. Zu meiner Überraschung fand ich keine einzige, und das obwohl ich mehrere von meiner Kleidung gesammelt hatte. Hier drinnen war es warm und trocken, also trocknete ich auch gleich meine Jacken und mich selbst.

Kurz bevor die Fähre zurück in Richtung Chelan fuhr, machte ich noch eine weitere Bekanntschaft. Cameron schraubte gerade die Holzplanken auf der Terrasse der North Cascade Lodge fest und fragte mich, ob ich mich hineinsetzen möchte. Ich bedankte mich und sagte ihm, ich würde lieber draußen sitzen und die Berge beobachten, die langsam wieder zwischen den Wolken hervorschauten. Es hatte bereits aufgehört zu regnen und hier und da war schon ein Stückchen blauer Himmel zu sehen. Cameron und ich kamen ins Gespräch und er erkannte an meinem Akzent, dass ich nicht von hier war. Ich erzählte ihm warum und wie lange ich da war und dass ich am liebsten für immer bleiben würde. Ganz unerwartet sagte er mir, dass ich das sogar könnte wenn ich wirklich wollte, sie hätten gerade viele Stellenausschreibungen und wenn ich wüsste, wie man einen Hammer schwingt, könnte ich sofort einsteigen. Das hörte sich natürlich verlockend an, aber ganz so ernst hatte ich das nicht gemeint, also sagte ich ihm, dass ich bereits andere Pläne hatte und mich in Österreich eigentlich ganz wohl fühlen würde. Er gab mir einen Zettel mit seiner Telefonnummer und sagte mir, dass ich – falls ich mal wieder in der Gegend sein sollte zB während meiner PCT Wanderung in ein paar Jahren – mich melden und in seinem Gästezimmer übernachten könnte. Ich steckte seinen Zettel ein und er fragte mich noch, ob ich eine Tasse Kaffe wolle, die ich überglücklich entgegennahm.

Um 12:30 Uhr verließ die Fähre schließlich das kleine magische Örtchen Stehekin. Ich saß auf dem Boden und dachte über die letzten drei Tage nach. Noch immer war ich glücklich und unendlich dankbar für meine Wanderungen, die Schönheit und Unberührtheit der Natur und für die Menschen die ich kennengelernt hatte. Stehekin und diese Gegend in Washington sind etwas ganz besonderes und magisches und ich denke die Bilder werden niemals der wahren Schönheit dieser gerecht. Ich wünschte ihr alle hättet diese Kulisse mit eigenen Augen sehen und die singenden Vögel mit eigenen Ohren hören können. Es war wunderschön und erfrischend mit allen Sinnen nichts als die Geräusche, die Gerüche und den Anblick der Natur wahrzunehmen. Hin und wieder braucht mein Körper ein „Reset“ von all den Reizen, die unser normales Leben uns liefert, und genau das habe ich hier gefunden. (Man muss dafür auch gar nicht so weit weg, in Österreich klappt das genau so gut!)

Ich hätte mir mein kleines Abenteuer wirklich nicht besser vorstellen können.

  1. Mai 19, 2022 4:58 pm

    Oh Helena, deine Wanderung klingt einfach so schön und sorgt bei mir auch etwas für Fernweh! Da vermisse ich gleich unsere gemeinsamen Trips hier in Salzburg wie die Latschenbergtort(u)our. Ich hoffe du hast noch viele weitere Begegnungen mit so spannenden Personen und Zeit, die Umgebung zu erkunden. Freue mich auf jeden weiteren Blogeintrag 🙂

  2. Mai 19, 2022 8:11 pm

    Liebe Helena,
    was für ein Bericht!!
    Inzwischen glaube ich wirklich, dass der Kater noch in den Rucksack muss,ansonsten leidet er in deiner Abwesenheit und akutem Streichelentzug.Der Arme….
    Die Beschreibung deiner Tour war wunderbar und natürlich war ich im Geiste wieder mit von der Partie.Die Bilder erinnerten mich an unsere Tour am Dachstein,zur Adamek- und Simonyhütte.Dort sind wir auch bisweilen auf Blumen gesäumten Wegen gegangen und haben uns sehr an der üppigen wie bunten Natur erfreut.Deine Eindrücke lesen sich toll und die im Tal bleibenden,nicht so schönen Gefühle kann ich sehr gut nachvollziehen: „alles ist plötzlich nichtig und klein“.Da isser wieder der Reinhard Mey,wenngleich du ja nicht über den Wolken warst….

    Die Seifenherstellung und die Düngerherstellung aus Regenwurmkot fand ich auch total irre,simpel wie wirksam-einfach toll!!Sowas bekommt man sonst ja gar nicht mit.Schon toll,was du da alles lernen kannst und Seth scheint ja mit Freude sein Wissen weiterzugeben.
    Natürlich freue mich schon jetzt darauf,zu lesen wie es weitergeht,sowohl auf der Farm ,als auch in Sachen Wandern.

    • Mai 20, 2022 3:10 pm

      @Juliane Woelk

      Hi Mama, danke für den Kommentar!
      Mich hat die Wanderung auch sehr an Österreich erinnert, vielleicht fand ich sie ja auch gerade deshalb so schön…?
      Es ist wirklich toll, dass Seth sich immer die Zeit nimmt, um uns alles zu erklären. Habe bisher schon sehr viel gelernt und bin gespannt, was noch alles kommen wird.
      Inzwischen ist es übrigens auch nur noch etwas mehr als ein Monat bis zu unserer Wanderung… die Zeit verfliegt!! Freue mich schon sehr drauf ☺️

  3. Mai 20, 2022 12:40 pm

    Endlich wieder wat zum Schmökern gehabt, Digga.

    Danke

    • Mai 20, 2022 3:11 pm

      @Pat, Sturmhorst, Schlieker

      Immer zu deinen Diensten 🌚

  4. Mai 29, 2022 8:36 am

    Es gibt Dinge, die kann man einfach auch als begnadete Fotografin oder genialer Auto nicht in ihrer Komplexität abbilden bzw. darstellen. Aber man spürt beim Lesen, was das alles mit dir macht.
    Nachdem ich deinen Bericht gelesen habe, dachte ich, du wärst viel länger als nur dreieinhalb Tage unterwegs gewesen.