Helena Algermissen
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SMT – Abschnitt 7: Die Sintflut

Tag 20: Die Sintflut

Wir starteten gemütlich in den Tag, ohne Wecker und mit einem großen Frühstück aus dem Supermarkt nebenan. Anschließend machten wir uns auf den Weg zur 15 Minuten entfernten Bushaltestelle, die uns nach Debeli Rtič bringen sollte, einem Kap an der nördlichen Adriaküste im Golf von Trieste, das gleichzeitig auch der Endpunkt des SMTs darstellte. Wir warteten an der Bushaltestelle und als auch nach 10 Minuten kein Bus kam, Donner über unseren Köpfen grollte und Blitze durch den Himmel zuckten, setzten wir uns in Bewegung. Mit ausgestreckten Daumen liefen wir die Straße hinunter, doch niemand wollte anhalten. Nach einiger Zeit entdecken wir endlich den Bus, winkten dem Fahrer und er nahm uns mit. Genau zum richtigen Zeitpunkt, denn nur eine Minute später begann es wie aus Eimern zu schütten. Aus dem Inneren des Busses betrachteten wir die Sintflut, die draußen niederging.

Als der Bus Debeli Rtič erreichte, war der Regen etwas abgeflaut. Wir stiegen aus und begannen unseren Fußweg zum Kap. Während wir durch die Weinberge spazierten, begann es direkt über unseren Köpfen laut zu donnern. Auch die dunklen Wolken direkt vor uns verhießen nichts gutes. Kurzerhand entschlossen wir, bei einem Hotel Unterschlupf zu suchen. Wir bestellten uns einen Kaffee und erneut ergoss sich draußen ein sintflutartiger Regen über das Land. Marijn und ich tranken einen Kaffee und beobachteten das Spektakel aus sicherer Entfernung.

Als der Regen schließlich wieder stoppte, traten wir hinaus und schafften es immerhin trocken bis zum Endpunkt des Trails. Den Sprung ins Meer ließen wir allerdings aus.

Die Adriaküste
Am Endpunkt des Trails

Von hier begannen wir nun rückwärts zu wandern, leider begann es bereits nach nur 5 Minuten wieder zu in Strömen zu regnen, also wanderten wir nun im Regen. Als sich Blitz und Donner dazu gesellten, waren wir eindeutig weniger entspannt, aber wir waren immerhin nahe an der Zivilisation, also weniger gefährdet, als in den Bergen.

Wir wanderten einige Stunden durch den Regen, doch es war kein Ende in Sicht. An einem kleinen Supermarkt machten wir kurz Pause um zu Mittag zu essen, dann brachen wir wieder auf in den Regen.

Kurz bevor wir Tinjan erreichten, verschlechterte sich das Wetter merklich – auch wenn wir das vorher für unmöglich gehalten hatten. Es regnete so stark, dass sich wortwörtlich Wasserfälle auf den Straßen bildeten. Der Donner war laut und aggressiv, Marijn und ich suchten Schutz in einem Bushäuschen. Als wir eine Besserung vermuteten brachen wir wieder auf, doch nach nur wenigen Minuten ergoss sich erneut sintflutartiger Regen über unsere Häupter. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte mal so nass gewesen bin.

Wir erreichten Tinjan und eine kleine Kirche, die auf dem höchsten Punkt des Hügels thronte. Im Eingang suchten wir Schutz vor dem Regen und überprüften den Wetterbericht. Die Nachrichten überschlugen sich: viele Wanderfreunde hatten mir Nachrichten geschrieben, einer sendete mir eine Warnung des slowenischen Alpenvereins, der Notstand ausgerufen und ausdrücklich darum gebeten hatte, Wanderungen oder sonstige Gänge in die Berge zu vermeiden. Im Norden Sloweniens waren nach einer Monatsmenge an Niederschlag in nur 24 Stunden einige Dörfer überschwemmt, etliche Straßen gesperrt und über 16.000 Haushalte ohne Strom. Ich sagte zu Marijn: „Das ist so eine Situation, von der man immer hört, dass sie irgendwo passiert, aber man ist nie selbst davon betroffen, bis man es dann irgendwann doch ist.“. Glücklicherweise waren wir in unserer aktuellen Position weniger in Gefahr, denn das Risikogebiet hatten wir gestern mehr oder weniger unwissentlich verlassen. Wir hatten zwar viel Regen abbekommen, allerdings floss er immer geradewegs den Berg hinunter, welchen wir hinaufwanderten.

Nachdem wir einige Zeit im Eingang der Kirche gesessen und dem Regen zugesehen hatten, mussten wir eine Entscheidung für den Rest des Tages treffen. Nachdem das Wetter nicht merklich besser werden sollte, mussten wir eine Möglichkeit zum übernachten finden. Marijn begab sich auf die Suche in der Umgebung der Kirche und kam kurze Zeit später zurück und erklärte mir, ein Slowene hatte ihm angeboten, dass wir bei ihm unterkommen könnten.

Ich war zunächst etwas skeptisch, doch das war unser bestes Angebot für die heutige Nacht. Ich folgte Marijn zu dem Haus und an der Tür begrüßte uns Bogdan. Er war sehr freundlich und ließ uns in seinem Dachboden schlafen.

Wir aßen im Wohnzimmer zu Abend und richteten uns auf dem Dachboden ein.

Tag 21: Hike on Hold

Bogdan machte uns einen Kaffee und wir frühstückten in seinem Wohnzimmer. Wir überprüften das Wetter, beantworteten Nachrichten von besorgten Freunden und Familienmitgliedern und Marijn beschloss schließlich, zurück nach Holland zu fahren. Ich war noch nicht bereit aufzugeben, hatte keinen Job der auf mich wartete und die Zugstrecke nach Österreich stand ohnehin unter Wasser. Das Wetter sollte in 2 Tagen besser werden, also buchte ich mir ein Hostel, und beschloss das ganze ein wenig auszusitzen.

Wir bedankten uns bei Bogdan und wanderten 4,5 km hinab in den Ort, wo wir unsere Rucksäcke im Hostel abluden. Es war noch früh am Morgen, also beschlossen wir, nach Koper zu fahren und ein wenig die Stadt zu erkunden. Nach langer Wartezeit an der Haltestelle und Ausbleiben unseres Busses begannen wir unseren Marsch nach Koper mit ausgestrecktem Daumen. Das erste Auto nahm uns bereits mit, eine nette Frau aus Koper, die uns sogar etwas über die Region erzählte. Wir bedankten uns und schlenderten durch die Stadt.

Nach einigen Erledigungen, inkl. Einkauf von einem halben Kilo Mandelmus, hatten wir genug von der Stadt und nahmen am frühen Nachmittag ein Taxi zurück zu unserem Hostel. Die Besitzerin ließ uns Wäsche waschen, wir kochten in der Gemeinschaftsküche und saßen auf der Terrasse.

Tag 21: Abschied

Wir verbrachten einen gemütlichen Vormittag im Hostel, bis Marijn schließlich per Taxi nach Triest fuhr, um von dort zurück nach Holland zu gelangen. Seine Entscheidung heim zu fahren ließ mich daran zweifeln, ob es schlau war, alleine weiter zu wandern. Viele Wander:innen hatten sich in den letzten Tagen bei mir gemeldet und mir mitgeteilt, dass sie ihre Wanderung abbrechen mussten. Nun war ich in der glücklichen Situation, außerhalb der überschwemmten Gebiete zu sein, doch es fühlte sich dennoch etwas komisch an, weiter zu wandern, während große Teile Sloweniens unter Wasser standen. Der Süden war weitestgehend nicht betroffen von den Fluten und die Trails waren nicht gesperrt, während fast der gesamte Norden nicht passierbar war. Ich beschloss, meine Situation jeden Tag aufs Neue zu evaluieren und ob es vertretbar war, weiter zu gehen.

Den heutigen Tag verbrachte ich auf der Terrasse oder in einem Liegestuhl im Olivenhain, auf Ergebnisse und Updates von meinem Bruder wartend, der heute seinen ersten Ironman 70.3 bestritt.

  1. Aug 8, 2023 10:50 am

    Klingt so, als hättet ihr wirklich immer einen Schutzengel im Hintergrund gehabt. Ich hoffe, er wird dich weiterhin begleiten, ergänzt durch valide Evaluierungen deinerseits und den daraus folgenden klugen Entscheidungen.
    Ich drücke alle Daumen!