Helena Algermissen
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GR11 Abschnitt 5 – von Banos de Panticosa nach Bielsa

Tag 15: von Banos de Panticosa nach San Nicolas de Bajurelo

Als ich aufwachte, war es kurz nach 6:00 Uhr und durch mein Mosquito Netz sah ich gerade Marie ihr Zelt abbauen. Ich schlief noch ein wenig, brach als zweite das Lager ab und wanderte los.

Zunächst ging es bergab in Richtung Banos de Panticosa. Der Trail näherte sich langsam einem Bergsee, hinter dem sich das Tal immer weiter in die Länge erstreckte, je näher ich kam. Nach gut 30 Minuten erreichte ich Banos de Panticosa, wo ich Marie wieder traf. Sie hatte im Refugio eine heiße Schokolade getrunken und setze nun ihre Wanderung fort. Gemeinsam verließen wir den Ort und machten uns an den ca. drei stündigen Aufstieg. Da ich etwas schneller wanderte, hatte ich Marie schon nach kurzer Zeit abgehängt und wanderte alleine bis zum nächsten Bergsee. Hier setzte ich mich ans Ufer und legte eine kleine Pause ein. Ungefähr eine halbe Stunde später kamen Marie und Lea auch am See an und schmissen ihre Rucksäcke ins Gras. Gemeinsam saßen wir am See, genossen die Aussicht und Lea beschloss noch schnell eine Runde schwimmen zu gehen, bevor wir weiter wanderten.

Von hier aus hatten wir noch einen kleinen Anstieg über Geröllfelder vor uns und dann sollte es nur noch bergab gehen. Der Anstieg beinhaltete eine Menge kraxeln und machte die Nutzung unserer Wanderstöcke unmöglich. Als wir den Pass erreichten, wurden wir mit wunderschönen Aussichten belohnt, sowohl vor, als auch hinter uns. Ein kleiner Steinhaufen markierte den Pass.

Auf der anderen Seite wartete bereits der nächste Bergsee auf uns. Wir stiegen hinab und entschlossen, hier unsere Mittagspause zu machen und anschließend noch in den See zu springen. Das Wasser war wunderbar wohltuend: glasklar und eiskalt. Weil es so viel Spaß machte sprang ich gleich zwei mal von einem Stein am Ufer hinein. Auch Marie und Javier gingen schwimmen und gemeinsam trockneten wir in der Mittagssonne.

Nach unserer Pause wanderten wir in einem Paradies aus grünen sanften Hügeln, die sich nach oben hin zu steinigen Gipfeln verwandelten. Das Tal war wurde durchzogen von einer Vielzahl an kleinen Bächen und Wasserfällen. Der GR11 überquerte einige Male den Rio Ara und jedes Mal fühlte ich mich wie Akrobatin, die von Stein zu Stein hüpfte.

Auch wenn der Weg wunderschön war, zog sich der Tag irgendwann wie ein zäher Kaugummi, der langsam seinen Geschmack verloren hatte. Am späten Nachmittag war ich unglaublich erschöpft, zum ersten Mal auf dieser Wanderung taten meine Füße weh und ich schleppte mich die letzten Kilometer bis zum Campingplatz in San Nicolas de Bujaruelo. Lea wanderte neben mir, doch mir war nicht mehr nach quatschten zu mute. Als wir den Campingplatz erreichten, war es ungefähr 18:00 Uhr – es war also ein langer Tag gewesen, aber definitiv nicht der längste. Wir bestellten uns im Restaurant neben dem Campingplatz ein Getränk zum anstoßen, doch ich musste mich sehr früh verabschieden, um mein Zelt aufzubauen. Gerade als ich mich hinlegen wollte kamen auch Marie und Javier eingetrudelt. Schon bald legte ich mich ins Bett und schlief tief und fest.

Tag 16: von San Nicolas de Bujaruelo nach Torla

Morgens um 6:00 Uhr wurde ich vom lauten Muhen der Kühe geweckt, welches meiner Meinung nach kaum zu überhören war. Außer mir schien jedoch niemand dieser Meinung zu sein, denn als ich aus meinem Zelt kroch schliefen noch alle. Ich baute mein Zelt ab und kochte mir Frühstück: Linsen mit Gemüsebrühe, etwas anderes gab mein Foodbag nicht mehr her. Nun ja so sei es, besser als nichts. Anschließend machte ich mich auf den Weg nach Torla. Es war nur eine anderthalbstündige Wanderung, also entschloss ich per Anhalter in die Stadt zu fahren, denn das würde mir gut eine Stunde sparen. Zudem fühlte ich mich, als wäre ich heute nicht gerade in Bestform, also könnte ich mir diese kurze Wanderung auch sparen. Also stellte ich mich an die Straße und streckte den Daumen heraus. Der Plan ging auf, schon das zweite Auto nahm mich mit. Es war eine französische Familie, die ihren Urlaub auf dem Campingplatz verbracht hatten. Die Kinder waren eher schüchtern oder sprachen kein Englisch, also unterhielt ich mich mit ihrem Vater während der Fahrt.

Im Ortskern von Torla ließ er mich aussteigen, ich bedankte mich herzlich und machte mich auf die Suche nach einem zweiten Frühstück. In einer kleinen Gasse fand ich eine winzige Bäckerei, also bestellte ich mir ein mit Schokolade überzogenes Gebäckstück und einen Kaffee to go. Anschließend setzte ich mich mit meiner Ausbeute auf eine Bank und legte mich ein wenig hin. Ich dachte darüber nach wie froh ich war, auf dieser Wanderung sein zu können. Die letzten 16 Tage waren wie im Flug vergangen und die ersten 300 Kilometer lagen bereits hinter mir (eigentlich ja schon 400 mit dem GR10).

Irgendwann beschloss ich langsam zu dem Hotel zu gehen in dem Lea und ich uns heute ein Zimmer teilten. Ich checkte ein, doch das Zimmer war noch nicht fertig, also legte ich mich auf ein Sofa in der Lobby, bis der Portier mir den Schlüssel reichte. Kurz vor 13:00 Uhr konnte ich endlich hineingehen und als ich die reiche Auswahl an Seifen und Shampoos im Bad sah, wusch ich mein komplettes Wanderoutfit im Waschbecken, das danach so gut roch, wie lange nicht mehr. Anschließend legte ich mich aufs Bett. Ich hatte zwar gehofft, ich würde mich nach etwas Ruhe besser fühlen, doch leider war das Gegenteil der Fall. Ich konnte nicht einmal genau in Worte fassen, was mir fehlte, ich fühlte mich einfach unwohl und schlapp. Als mich schließlich Lea anrief und mich einlud, die anderen in der Stadt zu treffen und zusammen zu Mittag zu essen, zögerte ich. Irgendwie war mir nicht danach, mein Bett zu verlassen, doch ich wollte definitiv noch vor der Siesta einkaufen. Also willigte ich ein und sofort als ich aufstand, spürte ich, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmte. Es war als wäre ich all meiner Energie beraubt. Jeder Schritt war anstrengend und als ich Lea, Javier und Marie erreichte, die sich etwas zum Mittagessen bei einem Bistro bestellten, war mir so übel, dass ich Angst hatte, mich übergeben zu müssen. Wie ein kleines Häufchen Elend saß ich in der Runde und sprach kein Wort.

Anschließend gingen Lea und ich gemeinsam ins Hotel und ich legte mich ins Bett und döste ein wenig. Am Abend fiel mir auf, dass ich noch nicht wirklich etwas gegessen hatte und da ich mich ein wenig besser fühlte überlegte ich, mir eine Pizza in der Pizzeria nebenan zu holen. Ich hatte zwar keinen Appetit, aber der Gedanke an Pizza war verlockend bzw ich wollte, dass er verlockend war. Lea war auch in Pizzalaune also spazierten wir zur Pizzeria und bestellten uns zwei Pizzen zum mitnehmen, die wir dann im Hotelzimmer verspeisten – naja halb verspeisten. Ich hatte noch die Hälfte fürs morgige Frühstück.

Wir quatschten noch ein wenig bevor wir schließlich schlafen gingen.

Tag 17: von Torla zum Refugio de Goriz

Um 6:00 Uhr klingelte der Wecker, denn wir wollten den ersten Bus in den Nationalpark Ordesa erwischen, bevor die ganzen Touris (zu denen wir theoretisch ja auch zählten) auf den Beinen waren. Torla liegt nicht direkt auf dem GR11 und somit sparten wir uns ein paar Kilometer auf der Straße. Ich fühlte mich ein wenig besser als gestern, allerdings hatte ich über Nacht noch Halsschmerzen bekommen und fühlte mich einfach insgesamt nicht besonders gut.

Marie, Javier und Lea und ich hatten alle beschlossen, den Bus um 7:00 Uhr zu nehmen. Die anderen beiden stiegen nur schon eine Station früher ein als wir und saßen bereits im Bus als er an unserer Station hielt. Der Busfahrer erklärte uns, wir müssten die Tickets im Hotel kaufen, also gingen wir hinein, nur um zu erfahren, dass das leider nicht möglich sei. Wir boten dem Busfahrer 5€, damit er uns ohne Ticket mitnahm (5€ waren mehr als der Ticketpreis), doch er ließ sich einfach nicht überreden. Resigniert mussten wir wieder aussteigen und zum anderen Ende des Dorfes gehen, um dort Tickets zu kaufen und den nächsten Bus zu nehmen.

Als wir schließlich im Bus saßen teilte Lea mir mit, dass sich ihr Magen nicht besonders gut anfühlte. Das waren keine guten Neuigkeiten, wir fühlten uns heute beide nicht besonders gut. Als der Bus sein Ziel erreichte und wir zu wandern beginnen wollten, sagte Lea, sie würde noch eben eine Tasse Tee trinken aber ich könnte schon vor gehen und wir würden uns später wieder treffen. Da mir sowieso nicht gerade nach Gesellschaft war, wanderte ich alleine los. Außerdem wollte ich so schnell wie möglich im Refugio de Goriz ankommen, bevor es nachmittags regnen sollte. Hier im Nationalpark Ordesa ist Wildcampen verboten, deshalb musste unsere kleine Trailfamily heute im Refugio übernachten.

Als ich loswanderte, fühlte ich mich doch besser als gedacht, aber trotzdem nicht gerade gut. Der Aufstieg sollte vier Stunden dauern und nach gut zwei Stunden, als ich endlich den Wald verlassen hatte, traf ich Javier und Marie, die in einem Tal eine Pause machten. Trotz der Wolken war der Nationalpark wunderschön, ein riesiger Canyon aus schroffen Felsen und einer Vielzahl an Wasserfällen. Ich gesellte mich zu den beiden und sie fragten mich, wie es mir ging. „So lala“ sagte ich, „doch besser als gestern“. Nach kurzer Zeit kam eine weitere Wanderin aus Holland zu uns. Sie hieß Karin und wir hatten sie gestern schon kurz in Torla getroffen, doch ich hatte aufgrund meines desolaten Zustands nicht wirklich am Gespräch teilnehmen können. Als wir weitergingen erzählte sie mir, dass sie schon den Anapurna Trek in Nepal gemacht hatte und ich löcherte sie mit Fragen, denn ich wollte auch unbedingt eines Tages nach Nepal – die höchsten Berge der Welt sehen.

Die letzten zwei Stunden zum Refugio schlängelte sich der Trail in Serpentinen steil bergauf. Anfangs fühlte ich mich noch „relativ“ fit, doch je länger ich wanderte, desto schwacher wurde ich, bis schließlich jeder Schritt zu einer Qual wurde. Mir schmerzte plötzlich mein ganzer Körper und mein Herz raste. Nur noch 20 Minuten sagte ich mir. Nur noch 10. Da ist die Hütte! Sie war so nah, doch ich bewegte mich wie in Zeitlupe auf sie zu.

Als ich ankam, musste ich mich auf eine Bank legen. Mein Zustand hatte sich innerhalb kürzester Zeit stark verschlechtert und ich fühlte mich hundeelend. Zum Glück kamen bald Marie und Javier an und wir konnten unser Zimmer in der Hütte betreten. Ich schleppte mich zu unserem Zimmer legte mich direkt ins Bett und stand bis zum Abendessen nicht mehr auf. Meine Beine taten weh, als wäre ich einen Marathon gelaufen, mein Herz klopfte viel zu schnell in meiner Brust und ich schwitzte. Vermutlich hatte ich auch Fieber. Ich lag einfach nur in meinem Bett und litt vor mich hin, so schlecht hatte ich mich schon lange nicht mehr gefühlt. Nach kurzer Zeit kam auch Lea an. Wir hatten uns schon Sorgen gemacht, da sie seit heute Morgen niemand mehr gesehen hatte. Sie musste sich auf der Wanderung mehrmals übergeben und weitere Details erspare ich euch. Sie legte sich in das Bett neben mir und wir schliefen schnell ein.

Als es um 19:00 Uhr Zeit fürs Abendessen war, hatte ich zwar keinen Appetit, aber ich musste leider dafür zahlen (hier hab es keine Übernachtung ohne Halbpension), also wollte ich es wenigstens versuchen. Schon nach fünf Minuten bereute ich es, überhaupt mein Bett verlassen zu haben. Ich fühlte mich immer noch elend und das Essen sah so unappetitlich aus, dass sich mir fast der Magen umdrehte. Letztendlich rührte ich es nicht an. Gegenüber am Tisch saß ein junger Arzt aus Australien, der auch den GR11 wanderte. Er hieß Peter und fragte mich, was los sei. Als ich es ihm erklärte, bot er mir eine paracetamol an, die ich dankend entgegennahm. Meinen Vorrat an Ibuprofen hatte ich nämlich leider schon aufgebraucht.

Als ich wieder hinauf ins Zimmer ging, fror ich plötzlich. Ich kuschelte mich in meinen Schlafsack, doch nur wenige Minuten später war mir so heiß, dass ich alles bis auf die Unterwäsche ausziehen musste. „Na ganz toll“ dachte ich. Lea kam gerade aus dem Badezimmer und teilte mir mit, dass sie die gesamten letzen 45 Minuten, als wir beim Abendessen waren, auf dem Klo verbracht hatte. Sie tat mir leid, dieses Schicksal hatte ich ja leider in Schweden schon erlitten und wusste daher genau wie scheiße (wortwörtlich) es sich anfühlte.

Wir legten uns hin, doch für mich war es eine unruhige Nacht, und ich schlief nicht besonders gut.

Tag 18: zero day

Wie der Titel schon erahnen lässt, habe ich heute keine Kilometer zurückgelegt. Als ich aufwachte, war ich zwar zum ersten Mal seit zwei Tagen wieder hungrig, aber mein Hals und Kopf schmerzten noch und mein Bauchgefühl sagte mir, ich sollte heute lieber nicht wandern. Zumal es auch noch die ganze Nacht gewittert hatte und immer noch tat, und von der heutigen Etappe bei Unwetter stark abgeraten wurde. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen, ich blieb einfach noch eine Nacht im Refugio. Das gefiel meiner Geldbörse zwar nicht so gut, aber für solche Situationen hatte ich dieses Mal glücklicherweise genug Geld zur Seite gelegt.

Ich frühstückte mit Javier und Marie und die beiden schmiedeten Pläne für heute. Sie überlegten, entweder noch eine Nacht zu bleiben, oder das Gewitter auszuwarten und am Nachmittag weiterzuwandern. Karin aus Holland blieb ebenfalls noch eine Nacht im Refugio.

Im Gastraum sah ich Peter und bat ihn um eine weitere Paracetamol. Er gab mir direkt zwei und wünschte mir eine gute Besserung. Er selbst brach mit einem anderen jungen Mann aus Luxemburg ins Unwetter auf.

Als wir wieder nach oben in unser Zimmer gingen, war auch Lea wach geworden. Sie wollte heute unbedingt weiter wandern und ich gab ihr zwei Immodium Tabletten. Ich hatte gehofft, sie würde ebenfalls noch eine Nacht bleiben, denn es machte Spaß mit ihr zu wandern und ich wusste, ich könnte heute nicht weitergehen. Also trennten sich unsere Wege, doch wir wussten, wir würden uns noch einmal wieder sehen. Wenn nicht auf diesem Trail, dann auf einem anderen.

Nach ein paar Stunden waren nur noch wenige Menschen im Refugio und ich fand ein paar andere GR11 Wanderer. Zwei junge Frauen aus Holland (Floor und Mi Ra) und einen jungen Mann aus Israel (Almog). Ich setzte mich zu ihnen an den Tisch. Mi Ra hatte einen kleinen Aquarellkasten und Javier und Marie ein kleines Notizbuch dabei. Sie gaben mir ein Blatt Papier und so saßen wir alle über Mi Ras Aquarellkasten gebeugt und tauchten abwechselnd unsere Pinsel in die Farbe. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie froh ich war, wieder malen zu können! Ein Zero day könnte echt schlimmer sein.

Als zur Mittagszeit schließlich alle ihren Gaskocher anwarfen, war ich wie immer nicht hungrig. Doch ich wusste, es war besser etwas zu essen, also setzte ich mich mit Floor vor die Hütte und kochte mir eine kleine Portion Nudeln. Wie immer, wenn ich etwas aß, wurde mir übel und sofort bereute ich die Mahlzeit. Ich saß noch ein wenig draußen mit Floor und sie erzählte mir, dass sie nächstes Jahr den 3000 km langen Te Araroa in Neuseeland wandern würde. Ich erzählte ihr von meinen Plänen, den PCT zu wandern und sie sagte, dass Peter (der Australier) nächstes Jahr auch den PCT oder CDT wandern wollte. Javier gab mir seine E-Mail Adresse, denn den Kontakt-Austausch hatte ich gestern Abend leider verpasst.

Das Wetter war inzwischen besser geworden und Javier und Marie beschlossen ein Stückchen weiter zu wandern und die morgige sehr lange Etappe somit etwas besser aufzuteilen. Traurig verabschiedete ich mich auch von ihnen. Es war schade, alle meine Freunde weiterziehen zu sehen, denn ich war die einzige, die keine Wahl hatte – mir ging es zu schlecht um weiter zu wandern.

Nachdem die beiden gegangen waren, schleppte ich mich hinauf in mein Zimmer und legte mich hin. Zumindest liegend war meine Übelkeit weniger intensiv. Nach kurzer Zeit schlief ich ein und wachte kurz vor dem Abendessen wieder auf. Ich fühlte mich immer noch nicht bereit, etwas zu essen, doch ich wusste, wenn ich wandern wollte, musste ich auch essen. Almog und Mi Ra saßen mit mir an einem Tisch und fragten, ob es mir besser ginge. „Ein bisschen“ sagte ich „doch nicht gut genug um etwas zu essen, glaube ich“. Als die Bedienung unser Abendessen servierte, drehte sich mir direkt wieder der Magen um. In der wässrigen Suppe schwammen einige wenige Bohnen und Zwiebeln, sie sah wenig appetitlich aus, doch selbst wenn jemand ein Stück Schokokuchen vor mir platziert hätte, hätte ich keinen Appetit gehabt. „Die wird dir sicher gut tun“ sagte Almog. Ich nickte und aß zumindest die halbe Schüssel Suppe und ein Stückchen Weißbrot. Nur wenige Minuten nachdem ich aufgegessen hatte, wurde mir übel. Die Hauptspeise bestand aus Quinoa und Spiegelei. Mit meiner Gabel stocherte ich ein wenig in meinem Essen herum, aß ein paar Bissen und schob den Teller zu Almog hinüber, der sich sehr darüber freute. Auch das Dessert überließ ich einem spanischen jungen Mann, der mit an unserem Tisch saß und sich sehr darüber freute zwei Schüsseln Zimt-Pudding verspeisen zu können.

Ich sagte Almog und Mi Ra, dass ich mich hinlegen müsse und uns Zimmer gehen würde. Almog bot an, mir einen marokkanischen Tee zu machen, der seiner Meinung nach alle meine Magenprobleme lösen würde. Mit Tee konnte man allgemein wenig falsch machen also nahm ich sein Angebot dankend an.

Ich lag in meinem kleinen Hochbett in unserem Zimmer und hörte Musik als Almog mir meinen Titantopf gefüllt mit warmem marokkanischen Pfefferminz Tee und Honig ans Bett stellte. Ich bedankte mich und war wirklich gerührt darüber, wie all meine neuen Trail Freunde um mein Wohl bemüht waren. Kurze Zeit später legte ich mich schlafen und hoffte, morgen wieder fit genug zu sein, um meine Wanderung fortzusetzen.

Tag 19: vom Refugio de Góriz nach Bielsa

Wir planten um 7:00 Uhr das Refugio zu verlassen, also klingelte der Wecker um 6. Nicht nur ein Wecker, gleich mehrere Handys klingelten uns aus dem Schlaf. Langsam krochen all die Wanderer aus ihren Betten und begannen ihre Rucksäcke im Schein der Stirnlampen zu packen. Ich hatte meinen Rucksack bereits gestern gepackt und verließ das Getümmel in unserem winzigen Zimmer als erste. Um 6:30 Uhr gab es Frühstück im Gastraum und ich aß zwei Scheiben Weißbrot mit Butter, ein paar Kekse und einen kleinen Muffin. So weit so gut, das klappte auf jeden Fall schon besser als gestern. Mi Ra und Almog hatten mit mir im Zimmer geschlafen, doch Floor hatte vor der Hütte gezeltet und somit auch keinen „Anspruch“ auf das Frühstück. Mi Ra und ich gingen mehrmals zum „Buffet“ und brachten ihr alles mit, was das Herz begehrte – das fiel hier sowieso nicht auf.

Um kurz nach 7:00 Uhr verließ ich als erste die Hütte und verabschiedete mich bis später von Almog, Mi Ra und Karen. Ich fühlte mich sehr viel besser als die letzen Tage, zwar noch immer schwach und mit einem flauen Gefühl im Magen, doch ich redete mir ein, es würde im Laufe der Wanderung besser werden. Vom Refugio führte der Weg zunächst bergauf über den Pass Collata Arrablo, der noch im Nebel versunken lag. Das Bergauf-wandern war definitiv anstrengender als sonst und mir wurde leicht übel dabei. Auf der anderen Seite des Passes ging es steil hinunter in ein Tal, durch welches sich der Fuen Blanca schlängelte. Dieser Fluss wurde von vielen kleinen Bächen und Wasserfällen gespeist, die von allen Seiten den Berg hinunter rauschten. Um Wasser Knappheit musste man sich in den hohen Pyrenäen definitiv keine Sorgen machen. Der Abstieg war eine reine Kletterei von einer Steinstufe zur nächsten. Ich musste meine Wanderstöcke wegstecken um mich mit den Händen am nassen Gestein festhalten zu können.

Nach zwei Stunden überquerte ich den Fluss und wanderte auf der anderen Seite wieder hinauf zum nächsten Pass, dem Collardo Añisclo. Im Tal lag ein dichter Nebel und durch die hohe Luftfeuchtigkeit war ich komplett durchnässt. Schon nach wenigen hundert Höhenmetern spürte ich, dass es keine gute Idee gewesen war heute weiterzuwandern. Mit jedem Schritt wurde ich schwacher, langsamer und mein Magen hatte keine Freude bei meiner Anstrengung. Ich fürchtete mich jederzeit übergeben zu müssen und schleppte mich den Berg hinauf. Alle 15 Minuten überprüfte ich auf der Karte, wie weit oben ich war, denn durch den Nebel war kein Ende in Sicht.

Als ich gerade meine Wasserflasche an einem Wasserfall auffüllte, sah ich jemanden oberhalb der Kante. Nicht viele Wanderer waren gestern in Richtung Parzan aufgebrochen, also konnte es sich eigentlich nur um Javier handeln. Als ich seinen orangenen Rucksack erblickte, war klar, dass es sich um ihn handeln musste. Ich wanderte weiter, doch ich fühlte mich zunehmend schlechter, wurde langsamer und verlor Javier aus den Augen. Der Aufstieg schien niemals enden zu wollen und ich fühlte mich hundeelend. Mein Magen schmerzte so sehr und jeder Schritt war eine Qual. „Du schaffst das, du hast schon viel schlimmeres geschafft!“ sagte ich mir. Doch irgendwann wurden die Übelkeit und meine Frustration unerträglich und ich begann zu weinen. Unter Tränen kämpfte ich mich weiter den Berg hinauf. „Fuck this trail. Fuck this damn trail!“ schrie ich immer wieder und keuchte. Ich wusste, dass mich niemand hören konnte und das Fluchen half mir irgendwie diesen verfluchten Berg hinauf zu kommen. Alle paar Schritte hielt ich an und blickte zurück. Ich war so langsam und doch holte mich niemand ein. Wo waren die anderen?

Irgendwann erreichte ich endlich den höchsten Punkt des Passes und legte mich auf den Rücken. Das schlimmste war geschafft, jetzt musste ich nur noch knapp 1200 Meter wieder hinunter. Ich wartete ein wenig bis sich mein Magen beruhigte und aß einen kleinen Haferriegel. Ich verspürte zwar wie immer keinen Hunger, aber es war bereits nach 12:00 Uhr und ich hatte seit dem Frühstück nichts gegessen.

Nach einer kurzen Pause begann ich abzusteigen über das „steilste Stück auf dem GR11“ laut Wanderführer. Ich hatte schlimmeres erwartet und war positiv überrascht, als der Abstieg weniger schwer war, als erwartet. Nach gut 15 Minuten sah ich Javier auf einem Stein sitzen. Ich war überglücklich ihn zu sehen. Er sagte mir Marie sei nur 15 Minuten voraus und fragte mich, wie es mir ginge. „Sehr schlecht.“ sagte ich und erzählte ihm von meinem Aufstieg.

Ich wanderte weiter bergab und fühlte mich viel besser verglichen mit dem Aufstieg. Die Anstrengung gefiel meinem Magen scheinbar nicht besonders gut. Zum ersten Mal seit ein paar Tagen hatte ich auch wieder Empfang und schickte Nachrichten an Alex und Jule.

Der Abstieg war lang, aber wenig ereignisreich. Als ich am Nachmittag endlich das Tal und das Refugio de Piñeta erreichte, sah ich Marie. Gemeinsam mit Javier machten wir hier eine Pause und trockneten unsere Schuhe und Socken in der Sonne, die bei einer Fluss Überquerung leider nass geworden waren. Wie immer war mir nicht gerade nach essen zu mute, doch nach einer neunstündigen Wanderung brauchte mein Körper vermutlich Nahrung, also aß ich ein wenig Weißbrot mit Nutella. Direkt wurde mir übel und ich versuchte mich so gut es geht auf zwei Plastikstühlen irgendwie hinzulegen.

Kurze Zeit später erreichten Karen und Almog auch das Refugio. Sie beide hatten Floor und Mi Ra ebenfalls seit heute morgen nicht mehr gesehen. Alle zusammen machten wir noch ein wenig Pause und besprachen, gemeinsam 1,5 Stunden von hier auf einer Wiese zu zelten. Marie und Javier brachen als erstes auf, gefolgt von Almog und mir.

Schon nach kurzer Zeit bekam ich starke Bauchschmerzen und mit wurde sehr übel. Ich fiel hinter Almog zurück und er wartete an einer Kreuzung auf mich. „So kann ich nicht weiter wandern“ dachte ich und mir stiegen Tränen in die Augen. Er fragte mich, ob ich eine Pause brauchte und ich sagte ihm, ich könne heute nicht weiter gehen. Meine Magenschmerzen waren so viel schlimmer geworden, dass es kaum auszuhalten war. Ein paar hundert Meter weiter war ein Restaurant und Almog sagte mir, ich solle mich kurz hinlegen und eine Pause machen. Also legte ich mich auf einen Tisch und begann zu weinen. Nicht nur wegen der Schmerzen, sondern auch wegen meiner Frustration über die letzten Tage. Insgesamt wusste ich nun von sechs Wanderern die krank geworden waren, doch die meisten hatten sich relativ schnell erholt und niemanden hatte es so schlimm erwischt, wie mich. Ich begann, mein ganzes Vorhaben anzuzweifeln, vielleicht war mein Körper einfach nicht gemacht für so eine anstrengende Fernwanderung wie diese? Doch wie sollte ich jemals den PCT wandern, wenn ich nicht einmal 840 km schaffte? In mir brach eine kleine Welt zusammen und ich konnte einfach nicht wieder aufhören zu weinen. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass Almog weg gewesen war, doch plötzlich stand er mit zwei Wasserflaschen vor mir. „Schmeiß die alten Flaschen weg, vielleicht war irgendeine Wasserquelle kontaminiert.“ Ich hatte schon oft das Wasser verdächtigt. Zwar filterten wir alle unser Trinkwasser, doch die Hohlfaser Membran Filter funktionieren hauptsächlich für Bakterien. Diese besitzen eine Größe von mehreren Mikrometern. Viren hingehen sind nur wenige Nanometer groß und zwar sehr viel seltener im Wasser, werden aber von einem herkömmlichen Wasserfilter nicht eliminiert.

Ich teilte Almog mit, dass ich heute nicht weiter wandern könnte, und mir ein Hostel in Bielsa suchen würde. Per Anhalter fuhr ich in den Ort und fand ein kleines Hostel in einer Seitengasse. Almog wanderte weiter und bevor sich unsere Wege trennten fragte er mich nach meiner Nummer, damit wir in Kontakt bleiben konnten.

In meinem Hostel legte ich mich ins Bett und trank Unmengen an Wasser. Das Abendessen ließ ich wie die letzten Tage aus. Jetzt, wo ich Zeit hatte um nachzudenken, schmiedete ich einen Plan. Wenn es mir morgen nicht besser gehen sollte, würde ich eine weitere Nacht im Hotel verbringen. Es war zwar schade, alle meine Freunde weiterziehen zu sehen, doch ich hatte mich mehr oder weniger alleine auf den Großteil dieser Reise begeben und mein Gefühl mit anderen mithalten zu wollen, musste ich jetzt ablegen. Wie sagt man so schön: „Der Weg ist das Ziel“ und ich hatte genug Zeit um meine Erkrankung auszusitzen und den Trail trotzdem zu beenden. Und wer weiß, wen ich später noch auf dem GR11 kennenlernen würde? Auf jeder Fernwanderung gibt es gute und schlechte Tage. Letztes Jahr in Slowenien lief alles erstaunlich gut, doch auch dort hatte ich schwierige Tage an denen ich ans Aufgeben dachte. Ich war schon so weit gekommen, hatte einige der schwersten Tage hinter mir, doch ich wollte es schaffen. Vielleicht war es das beste für mich die Wanderung in meinem eigenen Tempo fortzusetzen. Am Ende würde es doch niemanden interessieren in wie vielen Tagen ich über die Pyrenäen gewandert war, sondern dass ich es geschafft hatte.

Insgesamt zurückgelegte Distanz: 330 km

  1. Aug 7, 2022 8:37 am

    Beim Lesen leide ich mit. Auf der anderen Seite kenne ich selber die Situation, dass man denkt, es gehe nicht weiter…und geht es doch. Ein menschlicher Körper kann unglaublich viel vertragen. Trotzdem wünsche ich Dir natürlich Besserung, dass Du die Wanderung auch genießen kannst.