Dienstag, 26. April 2022
Wir begannen damit, zwei ganzes Bleche Ringelblumen zu säen, da die letzten nicht gut gekeimt hatten.
Anschließend befreiten wir ein Beet im Gewächshaus von Laub und ernteten den verbleibenden Grünkohl und Rucola.
Nachdem alles geerntet und letzte Wurzeln entfernt worden waren, bearbeiteten wir den Boden mit der Broadfork. Anschließend verteilten wir Dung auf dem Beet und vermischen die Erde mit der Hacke.
Das Bewässerungssystem musste erneuert werden, also verlegten wir neue Schläuche, dichteten die Enden ab und fixierten sie in der Mitte des Beetes.
Nach der Mittagspause jäteten wir Unkraut in den südlichen Beeten und säten ein komplettes Beet Calendula (verwandt mit der Ringelblume). Dafür zogen wir eine Rinne mit den Fingern entlang der Bewässerungs Schläuche und ließen alle 10 cm ein paar Samen in die Erde fallen. Nach ungefähr ein bis zwei Metern schlossen wir die Rinne wieder, öffneten eine neue und arbeiteten uns so langsam voran, bis schließlich das gesamte Beet gesät war.
Mittwoch, 27. April
Der heutige Tag war nicht besonders ereignisreich. Wir befestigten ein paar weitere Wege mit Holzspänen und trimmten den Lavendel. Die inzwischen welken Blüten des letzten Jahres mussten mit einer Garten Schere zurückgeschnitten werden, was bei diesem Reichtum an Lavendel ziemlich viel Zeit in Anspruch nahm. Nicht nur der Lavendel benötigte einen neuen Haarschnitt: da wir schon mit Gartenscheren bewaffnet waren, kürzten wir auch gleich die abgestorbenen Spargel Reste. Anschließend ernteten wir Plantain (Plantago eriopoda), welche Seth für die Herstellung verschiedener Salben verwendete.
Donnerstag 28. April.
Wir begannen direkt in der Früh mit der Ernte von Gemüse, welches Seth an ein lokales Restaurant lieferte. Ich erntete draußen Spargel mit einer Sichel, Kennedy und Seth kümmerten sich um die Radieschen und Blattsalate im Gewächshaus.
Das schöne an der Ernte ist, dass wir die wahre Vielfalt der Natur zu Gesicht bekommen. Wir ernten auch den Spargel, der vielleicht seines Aussehens wegen nicht in einem Supermarkt oder Restaurant, dafür aber auf unserem Teller landet.
Später ernteten wir noch gemeinsam etwas Koriander und begaben und anschließend auf die Mission in den angrenzenden Waldstücken Brennnesseln zu ernten. Wir schlugen uns durchs Dickicht und da Seth sich gut in der Umgebung auskannte, war er zielstrebig unterwegs und fand zahlreiche Büschel, die sich zwischen den Bäumen und Sträuchern versteckt hatten. Die Brennnesseln werden bei der Ernte unterhalb der zweiten Blätterschicht geköpft. So hat die Pflanze eine Chance nachzuwachsen. Wir arbeiteten vorsichtig und mit Handschuhen, um uns vor den kleinen Brennhärchen zu schützen. Die brennende Wirkung dieser Pflanze ist übrigens nicht nur mechanisch, sondern auch chemisch zu erklären: die Härchen brechen bei Kontakt ab und setzen Ameisensäure frei, die auf unserer Haut ein stechen und brennen auslöst. Mit drei vollen Körben Brennnessel Köpfen kehrten wir zur Farm zurück.
Nach der Mittagspause suchten wir große Findlinge aus einem riesigen Haufen Steine heraus. Alle diese Steine hatte Seth irgendwo auf der Farm gefunden und hier gestapelt. Unsere Aufgabe war es nun, die größten herauszusuchen, die uns später im Tomatenbeet dienen sollten. Steine neben dem Beeten zu platzieren ist eine sehr gängige Technik in der Permakultur um wärmeliebende Pflanzen zu ziehen. Die Steine speichern die Wärme besser als die Erde und helfen den Pflanzen so sich wohlzufühlen.
Nachdem wir eine ausreichende Menge an Steinen aus dem Haufen gesucht hatten, übernahm Seth den unangenehmen Part unseres Vorhabens: er kutschierte sie auf der Schubkarre zum Gewächshaus.
Hier platzierten Kennedy und ich die Steine gemeinsam in gleichmäßigen Abständen auf dem Beet. Anschließend gruben wir ein Loch in der Erde und buddelten jeden Stein ungefähr zur Hälfte ein.
Jetzt war es Zeit für die Tomaten. Unmittelbar neben jedem Stein sollte eine Tomatenpflanze platziert werden, die bereits im Gewächshaus so weit gewachsen war, dass sie groß genug war und genug Wurzeln ausgebildet hatte. Neben der Temperatur spielt allerdings auch die Feuchtigkeit eine wichtige Rolle, also stellten wir die Wasserzufuhr an und beobachteten, an welchen Stellen das Wasser aus dem Schlauch tropfte. Das „Driptape“ das Seth verwendete, hatte eine semipermeable Membran in Abständen von vier Inches, und an genau diesen Stellen sollte sich später jeweils eine Tomatenpflanze befinden. Ich grub die Löcher für die Setzlinge und stellte dabei fest, dass das Verbindungsstück zweier Schläuche leicht undicht war. Da wir diese Bewässerungssysteme schon oft auseinander und zusammen gebaut hatten, drehte ich am Verschluss und versuchte das Lecken zu unterbinden. Leider hatte ich nicht bedacht, dass das Wasser mit einem hohen Druck durch den schlauch floss, und so löste sich das Verbindungsstück und das Wasser spritze in alle Richtungen – vor allem in mein Gesicht. So schnell ich konnte steckte ich die Schläuche wieder zusammen, doch es bestand keine Chance, die Verbindung zuzuschrauben während das Wasser floss. Ich rief Kennedy zu, sie solle das Wasser abdrehen, allerdings hatte Seth uns nie gezeigt wie man die Wasserzufuhr an oder abdrehte, da sie per Zeitschaltuhr kontrolliert wird. Kennedy drehte an allen möglichen Hebeln und Knöpfen, doch das betätigte nur die Bewässerung im Beet nebenan. Während ich weiter mit Wasser vollgespritzt wurde und die Schläuche zusammenhielt so gut es ging, versuchte Kennedy Seth anzurufen. Er holte gerade seine Kinder von der Schule ab und war nicht erreichbar – wir waren also auf uns alleine gestellt. Erneut versuchte sich Kennedy an den Schaltern und Hebeln im Gewächshaus und schließlich spürte ich, dass der Wasserdruck abnahm. Nach einiger Zeit konnte ich den Verschluss wieder zuschrauben und wir mussten über meinen nassen Anblick lachen und über die Tatsache, dass Seth uns nie erklärt hatte, wie die Wasserzufuhr an oder abgestellt werden konnte, was ja nicht gerade unwesentlich war.
Freitag, 29. April 2022
Den ganzen Freitag widmeten wir uns der Herstellung von Kompost. Seth hatte über mehrere Monate organisches Material gesammelt in Form von Laub, Unkraut, Nebenprodukten der Cider Herstellung und Tiermist. Der Kompost stellte auf seiner Farm eine der wichtigsten Nährstoffquellen für Boden und Pflanzen da und war gleichzeitig ein Paradis für Regenwürmer. Seth nannte ihn sehr liebevoll das „5 Sterne Wurm Hotel“.
Die Art der Kompostierung bzw. der dafür nötige Behälter trägt auch einen eigenen Namen: Johnson Su Bioreactor. Generell ist die Kompostierung ein sehr altes Prinzip, das schon seit mehr als 5000 Jahren in tropischen Gebieten, und seit mehr als 4000 Jahren in Asien in der Landwirtschaft angewandt wird. Kompost dient vor allem als wichtige Nährstoffquelle, bringt zusätzlich aber auch allerlei Mikroorganismen mit sich, die unerlässlich für die Bodengesundheit und Fruchtbarkeit sind.
Der Johnson Su Bioreactor ist so konzipiert, dass er mittels gelochten Rohren die Luftzufuhr im Kompost fördert und so die chemischen Reaktionen im inneren aerob ablaufen lässt. Außerdem muss man ihn weder wenden, noch sonst irgendwie bearbeiten. Sobald sich der Kompost im Reactor befindet, macht er seinen Job und wir müssen uns nicht mehr darum kümmern. Der Bio Reactor ist leicht selbst zu bauen. Man benötigt etwas Holz, Abwasser Rohre, Gartenbau „Stoff“ oder Plane, ein wenig Draht und eine Bohrmaschine. Für eine genauere Bau Anleitung empfehle ich euch dieses YouTube Video: https://youtu.be/DxUGk161Ly8 oder folgenden Artikel: https://www.csuchico.edu/regenerativeagriculture/_assets/documents/johnson-su-bioreactor.pdf
Nachdem der Johnson Su Bioreactor gebaut war, musste er nur noch befüllt werden. In großen mit Wasser gefüllten Wannen vermischten wir alle Zutaten: Laub, Tiermist, Gras, Unkraut und die Überbleibsel der Äpfel aus der Cider Herstellung. Mit einer Mistgabel entnahmen wir das Material, ließen es abtropfen und füllten so nach und nach den Behälter auf. Nachdem das organische Material sich mit Wasser vollgesaugt hatte, war es schwer und wir schaufelten stundenlang. Insgesamt benötigten wir ungefähr 9 Stunden, bis der Reaktor voll war.
Samstag, 30. April 2022
Über diesen Tag gab es ehrlich gesagt nicht viel zu berichten. Bereits früh morgens regnete es, und das sollte sich auch für den Rest des Tages nicht wirklich ändern. Ich verbrachte die meiste Zeit in meinem Wohnwagen, machte nachmittags einen Spaziergang um den Wapato Lake, der an Seth’s Grundstück angrenzt und abends gingen Kennedy und ich für unser Abendessen in das Restaurant, das wir mit Gemüse belieferten. Wir hatten große Erwartungen und Seth machte uns sogar Hoffnungen, wir würden vielleicht eine kostenlose Vorspeise bekommen, wenn wir sagten, dass wir auf seiner Farm arbeiteten, doch leider war das nicht der Fall. Als wir das Restaurant erreichten warfen Kennedy und ich uns einen vielsagenden Blick zu: es war laut. Wir beide hassten laute Geräusche und die Geräuschkulisse war eine absolute Katastrophe im Kontrast zu der sonstigen Ruhe auf der Farm, die maximal durch Vogelgezwitscher durchbrochen wurde. Die Auswahl an vegetarischen Speisen war ebenfalls ernüchternd und so bestellten wir einen Burger ohne Fleisch. Letztendlich war es eher ein Käsesandwich mit Pommes, das versprochene Fenchel Aioli schmeckte man überhaupt nicht. Wir beide waren enttäuscht, denn wir hatten uns von diesem Abend etwas besonderes erhofft, zumal das Essen 20$ gekostet hatte.
Sonntag, 01. Mai 2022
Als ich in meinem Wohnwagen aufwachte stellte ich fest, dass es bitterkalt war. Ich kuschelte mich tiefer in meine Decke und versuchte irgendwie wieder warm zu werden. Zum ersten Mal hatte ich mit offenem Fenster geschlafen, und dieses Fenster befand sich direkt über meinem Bett. Das Leben im Wohnwagen erinnerte mich ein wenig ans Zelten und Fernwandern. Dort wachte ich auch meistens auf und fror, zumindest in Herbst und Frühling – ich hatte allerdings auch schon kalte Sommernächte erlebt. Ich liebte es, früh morgens in meinem Zelt zu sitzen mit den Beinen im Vestibül, eingehüllt in meinen Schlafsack, um mich herum eine angenehme Stille und Einsamkeit die nur durchbrochen wurde durch das leise Zischen des Gaskochers, der mein Frühstück erwärmte.
Ich verließ meinen Wohnwagen und kochte mir schnell einen Kaffee in der Küche. Als ich gerade zurück in den Wohnwagen und unter meine warme Decke schlüpfen wollte, blieb ich für einen Moment stehen. Die Berge im Westen waren erleuchtet von der Sonne, die noch nicht so weit aufgegangen war, dass sie uns erreichen konnte. Doch die Bergspitzen kamen schon in den Genuss des goldenen Lichts eines neuen hereinbrechenden Tages. Heute war der erste Mai, die Tage wurden immer länger und bereits um 6:00 Uhr wenn ich aufstand, war es hell. Außer mir war niemand wach und so stand ich alleine draußen mit einer dampfenden Tasse Kaffee in meinen Händen und betrachtete die Berge. Gestern waren sie von Nebel verhangen und ich würdigte ihnen keines Blickes, doch heute zeigten sie sich in ihrer ganzen Schönheit und zogen mich in ihren Bann. Die Kulisse wurde ergänzt durch den strahlend blauen, wolkenlosen Himmel und das allgegenwärtige Vogelgezwitscher. Plötzlich wurde ich nachdenklich. Noch gestern fühlte ich mich einsam und erlebte ein bedrückendes Stimmungstief. Der blaue Himmel und die frühen Morgenstunden, waren wie Medizin für eine Wunde, von der ich nichts wusste. Ich wollte lernen, den Moment zu genießen, dankbar zu sein für das Hier und Jetzt. Irgendwie neigte ich dazu, nie wirklich präsent zu sein, meistens in Gedanken, in der Zukunft oder in der Vergangenheit. Dabei tendierte ich dazu zu vergessen, wie schön die Gegenwart sein konnte. Dieses Muster zog sich durch mein ganzes Leben, immer fühlte ich mich, als sei ich „auf der Suche“ nach etwas, das nicht erreichbar schien. Und immer wenn ich erreichte, was geglaubt hatte gesucht zu haben, war es doch nicht das richtige und ich begab mich auf eine neue Suche, die niemals endete. Manchmal fühlte es sich an als hastete ich durch mein Leben, rastlos, immer auf der Flucht.
Während ich heute so darüber nachdachte, fiel mir auf, wie zufrieden ich eigentlich war. Ich liebte meinen Wohnwagen, ich liebte, dass es hier drinnen morgens nur 10°C oder weniger hatte, wenn ich aufwachte. Ich liebte meinen kleinen begrenzten Kleiderschrank, der nur aus funktioneller Kleidung bestand. Ich vermisste den meisten Schnickschnack von Zuhause gar nicht, der in Umzugskartons im Keller eingesperrt war: das, was wirklich wichtig war, hatte ich bei mir und das war alles was ich brauchte.
Doch ich fragte mich, warum es mir zuhause so schwer fiel mich zufrieden zu geben mit dem, was ich hatte. War es der Druck von außen? Von Menschen, die andere Werte vertraten, als ich? Waren es ihre Erwartungen an mich? Die Fragen, wie viel Geld ich einmal verdienen würde, wo ich später arbeiten würde?
Es fühlte sich an, als hätte ich diese Erkenntnis nicht zum ersten Mal erlangt, doch trotzdem schien ich sie immer wieder zu vergessen und war jedes Mal wieder überrascht.
Als Kennedy aufwachte, machte ich für uns beide Pancakes nach unserer alten Tradition in Salzburg. Anschließend telefonierte ich mit Mama und machte mich fertig für unsere heutige Wanderung. Ich hatte einen Trail in der Nähe von Cashmere gefunden, der ungefähr 12 Kilometer lang war. Mit dem Auto fuhren wir gut eine Stunde zum Trailhead und zunächst ging es sehr lange bergauf. Wir erreichten schließlich einen Grat und wanderten eine große Runde auf der gleichen Höhe bleibend. Am äußersten Punkt des Rundweges beschlossen wir eine Pause zu machen. Wir beide hatten uns ein Picknick mitgebracht also verspeisten wir genüsslich unsere Mahlzeit in der Sonne mit einem wunderschönen Blick in die Berge.
Anschließend begannen wir ein wenig herumzuturnen und uns zu dehnen. Auch während der Arbeit nutzten wir oft freie Zeit für Dehnübungen, Handstände, oder sonstige akrobatische Übungen. Kennedy und ich hatten meistens jede Menge Spaß, egal was wir machten und ich war froh, auf der Farm jemanden gefunden zu haben, mit dem ich mich so gut verstand.
Zufrieden erreichten wir abends die Farm. Ich freute mich auf eine Dusche und etwas gutes zu Essen. gemütlich ließen wir den Abend ausklingen und freuten uns auf eine neue Woche und was sie wohl so mit sich bringen würde.
Mai 9, 2022 11:10 pm
Schöner Text! Gerade der vom 1. Mai. Habe ich dreimal gelesen, weil er mir so gut gefällt. Deine Worte erzeugen klare und schöne Bilder und ich kann mich da reinfühlen…in den morgendlich kalten Wohnwagen, den heißen Kaffee in der Hand und dabei der Blick in die Berge…und auch in deinen Gemütszustand.
Es ist wohl eine hohe Kunst, das Hier und Jetzt zu genießen und mit dem zufrieden zu sein, was man hat.
Mai 19, 2022 3:47 pm
Hallo Matthias! Danke für den Kommentar! Ich muss die Kommentare immer erst bestätigen wenn jemand „neues“ kommentiert, deshalb ist er untergegangen. Aber ab jetzt kannst du kommentieren, wann immer du möchtest 😎 das Lied kenne ich übrigens, und ich liebe es!! Es ist ganz toll hier in Washington, die Natur ist atemberaubend schön, aber auch der Alltag auf der Farm ist mal was ganz anderes. Mir hilft diese Art zu leben sehr dabei „präsenter“ zu sein.
LG und bis bald
Mai 9, 2022 11:29 pm
Muss beim 1. Mai Text an meinen Lieblings-Song von Bon Iver denken….flume https://youtu.be/LuQrLsTUcN0
Mai 10, 2022 10:21 pm
Liebe Helena, ich habe zwei Kommentare geschrieben. Aber diese sind leider weg…mmmh. Jetzt Test.