Helena Algermissen
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Pacific Crest Trail – Abschnitt 13: Mammoth Lakes – Kennedy Meadows South

Planen muss gelernt sein

Wir verließen Mammoth Lakes gegen Nachmittag und wanderten ein paar Meilen auf dem PCT bevor wir unser Camp aufbauten. Während wir alle Nahrung in den Bärenkanistern verstauten, stellten die meisten fest, dass die vollen sechs Tage nicht in den Kanister passten. Ich wurde leicht misstrauisch, als bei mir tatsächlich alles Platz hatte. 

Dieser Abschnitt war vor allem durch die hohen Pässe der Sierra Nevada geprägt. Einfach gesagt wanderten wir meist morgens bergauf bis zum Pass und anschließend auf der anderen Seite hinunter in ein neues Tal. Entlang des Weges sprangen wir in die kristallklaren Bergseen, die nun im Herbst langsam abkühlten. Die Nächte in der Sierra Nevada waren kalt, hin und wieder mit leichtem Frost über Nacht. Es war mühsam sich morgens aus dem warmen Schlafsack zu schälen und erst beim Wandern richtig aufzuwärmen.

Während ich mich zu Beginn des Abschnitts noch stark und selbstbewusst fühlte, schwanden diese Gefühle schnell. Ich schleppte mich die Pässe hinauf und erreichte die Pause, wenn alle anderen bereits am aufbrechen waren. Dazu kam, dass ich bemerkte, ich hatte nicht genug Nahrung für den gesamten Abschnitt. Glücklicherweise konnten Zach, Kite und Peter mir aushelfen. Generell waren die drei sehr geduldig mit mir.

Die wunderschönen Seen der Sierra Nevada
Die drei Jungs beim Pause machen
Wir vier auf Glenn Pass – von links nach rechts: Peter, ich, Zach, Kite
Zach und ich auf Pinchot Pass
Rae Lakes
Kearsarge Pass
Forester Pass – der höchste Punkt des PCT

Bishop

Der PCT in der Sierra Nevada ist so abgelegen, dass man keine Ortschaften passiert und einen extra Tag einlegen muss, um hinauszuwandern. Dafür gab es mehrere Optionen, wir entschieden uns für einen Ausstieg über Kearsarge Pass. Von dort konnte man zum Onion Valley Trailhead wandern und per Anhalter nach Bishop oder Independence fahren. Kite hatte sich schon während der Wanderung um eine Mitfahrgelegenheit gekümmert, doch es war kein Platz für uns vier. Zach, Peter und ich warteten in der prallen Sonne auf dem Parkplatz. Hier gab es nichts, das Schatten hätte spenden können, außer dem Toilettenhäuschen – und in dessen Nähe roch es nicht besonders gut. Nach mehreren Stunden ohne Wasser entschieden wir uns, im Schatten des Toilettenhäuschens auszuharren.

Schließlich nahm uns ein schwules Pärchen mit nach Independence. Einer der beiden war selbst vor einigen den PCT gewandert und sein Mann schien nicht allzu begeistert davon zu sein. Man merkte deutlich, wer hier wen den Berg hinauftrieb. Naja, die beiden freuten sich, uns mitzunehmen und ließen uns an einer Tankstelle in Independence aussteigen, weil sie leider nicht bis nach Bishop fuhren. Als ich das Auto verließ, traf mich fast der Schlag: es war SO heiß hier unten im Tal. Zum Glück gab‘s in der Tanke kalte Getränke und Eis.

Ich stellte mich mit ausgestrecktem Daumen an die Straße, während ich an meiner Cola nippte. Zach und Peter warteten im Schatten. Der Schweiß lief mir in die Augen und Auto für Auto rauschte an mir vorbei, ohne anzuhalten. Hin und wieder ging ich zurück in die Tanke, um mich abzukühlen, Zach, Peter und ich wechselten uns ab, jeder musste mal seinen Daumen hinausstrecken. Niemand hielt an. Es fühlte sich an wie eine Ewigkeit. Eine Frau mit zwei Kindern kam zur Tankstelle und sagte uns, sie würde in fünf Minuten zurück sein und uns nach Bishop fahren. Nach 20 Minuten war sie immer noch nicht zurück und wir versuchten erneut unser Glück. Inzwischen war ich frustriert, ich wollte raus aus der Hitze und Zach und Peter saßen im Schatten und aßen Eis. Endlich hielt ein schwarzer Truck an. Der Fahrer sagte, er hätte nur Platz für eine Person. Zach und Peter nickten mir zu, immerhin hatte ich die „Arbeit“ geleistet. Dann fragte ich ihn, ob er die beiden nicht irgendwie unterbekommen würde. Er hatte ein Bett hinten und Zach und Peter konnten zwischen den Rucksäcken kuschelnd im Kofferraum mitfahren.

Die Fahrt nach Bishop war länger als erwartet und ich kam mit unserem Fahrer ins Gespräch. Sein Name war Corey und er hatte letztes Jahr seinen PhD in Chemie abgeschlossen – was für ein Zufall! Wir quatschten ein bisschen über Naturwissenschaften, den Trail, und so weiter. Schließlich lieferte er uns am Hostel in Bishop ab, wo wir Zachs 30. Geburtstag feierten. Das Hostel hatte ein großes Repertoire an Musikinstrumenten und so kamen Zach und ich endlich dazu, gemeinsam Gitarre zu spielen.

Mt. Whitney 

Mt. Whitney ist mit 4400 m der höchste Berg in den kontinentalen USA. Obwohl er nicht direkt auf dem PCT liegt, ist er ein beliebter Nebenausflug für viele Wanderer. Wie oft bekam man schon die Gelegenheit, den höchsten Berg der USA zu besteigen? 

Seit Beginn der Wanderung war Mt. Whitney so etwas wie mein Nordstern am Himmel. Er war etwas, auf das ich mich freute, doch mich auch gleichzeitig davor fürchtete. 2022 war eine junge PCT Wanderin nach ihrem Aufstieg auf Whitney an einem Höhenlungenödem verstorben. Das war für mich wie ein Aufwachen: selten dachten wir darüber nach, dass das, was wir hier oben taten, auch anders enden konnte. Da ich noch nie zuvor in solchen Höhen unterwegs war, machte mich der Anstieg auf Mt. Whitney nervös. Zumal ich mich zuvor auf den höheren Pässen nicht immer besonders wohl gefühlt habe.

Am Abend vor unserem Aufstieg gingen wir früh ins Bett: der Wecker klingelte am nächsten Morgen um 1:30. Vor lauter Aufregung schlief ich nicht wirklich und hatte somit keine Schwierigkeiten aufzustehen. Es war kalt und finster draußen und ich packte meinen Schlafsack und all meine Kleidung in den Rucksack. Zelt, Isomatte und alles was man auf dem Gipfel nicht benötigte blieb hier unten. Im Schein der Kopflampe begann ich zu wandern. Zach, Kite und Peter wanderten schneller als ich und schon bald verschmolzen die Lichter ihrer Stirnlampen mit der Schwärze der Nacht. 

Es war seltsam in der Finsternis den Berg hinaufzusteigen. Bis auf den Lichtkegel meiner Kopflampe konnte ich meine Umgebung nicht sehen, doch ich wusste, dass es zu meiner rechten steil hinunter ging. Der Trail schlängelte sich in Serpentinen an der steilen Flanke von Mt. Whitney hinauf.

Ich war ganz allein und beobachtete, wie mein Atem rhythmisch in die Nacht hinaufstieg. Luke überholte mich und fragte mich, wie es mir ging. „Ganz okay“ sagte ich „ich habe Angst vor der Höhe“. Er drehte sich um und lächelte mich an „Es ist nicht schlimm, wenn du umdrehst, weißt du. Du musst hier niemandem etwas beweisen.“ 

Luke hatte recht. Ich hatte schon seit dem Beginn des Aufstiegs überlegt umzudrehen. Es war nichts passiert, doch ich hatte solche Angst davor, dass etwas passieren konnte. Immer wieder legte ich kurze Pausen ein, trank etwas und wanderte weiter. Die Stunden in der Dunkelheit am Berg fühlten sich an wie Tage. Ich fragte mich, wo die anderen wohl waren.

Immer wieder überprüfte ich den Höhenmesser meiner Uhr. 3500 m, 3700 m, 3900 m… Als ich die 4000 m geknackt hatte, bekam ich so langsam das Gefühl, dass ich es tatsächlich schaffen konnte. Bis hier war ich mir nicht sicher gewesen und jederzeit bereit umzukehren. Ich machte eine Pause und spürte in meinen Körper hinein. Keine Warnsignale für Höhenkrankheit – im Gegenteil. Ich fühlte mich stark und zuversichtlich. Also wanderte ich weiter, Schritt für Schritt, Meter für Meter.

Bald setzte die Morgendämmerung ein und ich konnte zum ersten Mal die mich umgebenden Gipfel sehen. Es war ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Die Berge waren scharfkantig und spitz, in fast jedem Tal ruhte ein tiefblauer See. Ein rotes Band zog sich entlang des Horizonts und breitete sich langsam aus. Ich schaute auf die Uhr: 6:20 Uhr. Der Sonnenaufgang war um 6:51 Uhr und ich hatte noch 100 m bis zum Gipfel. Ich wanderte schneller und spürte, wie das Atmen anstrengender wurde. Doch alles im grünen Bereich, ich war fast da. Fünf Minuten vor Sonnenaufgang erreichte ich die Spitze. Ich konnte kaum glauben, dass ich es geschafft hatte. Mit breitem Grinsen setzte ich mich zu Luke, Zach und den anderen. Alle schauten gebannt in Richtung Osten. Ich holte meinen Schlafsack aus dem Rucksack und schlang ihn um mich herum. Hier oben war es eiskalt. Dann warteten wir gemeinsam auf die Sonne. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Die fünf Stunden Aufstieg in der Dunkelheit waren es wert gewesen. Alle Sorgen über Höhenkrankeit waren vergessen und selten war ich so stolz auf mich selbst gewesen

So viele PCT Hiker auf Mt. Whitney

Nach dem Abstieg vom Mt. Whitney veränderte sich das Terrain schnell. Binnen zweier Tage befanden wir uns in der Wüste, dem letzten Teil des PCT.