Helena Algermissen
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Pacific Crest Trail – Abschnitt 9: Ashland – Etna

20.08.2024 – Tag 51

Ich war mir nicht sicher, ob es größtenteils Einbildung war, weil ich wusste, dass wir bald die Grenze zu California erreichen würden, oder ob sich die Umgebung tatsächlich veränderte. Die immergrünen Nadelbäume wichen gelblich braunem Gras und nie zuvor gesehenen Arten von Wildblumen.

Wir wanderten alle alleine in unserem eigenen Tempo. Meistens war ich in meinen Gedanken verloren, doch ich bemerkte, wie ich hin und wieder lächeln musste, wenn ich ein PCT Zeichen an einem Baum erblickte. Es erinnerte mich daran, dass ich tatsächlich hier war – nicht, dass ich daran erinnert werden musste. Doch dieses Zeichen, das ich sonst nur von Fotos und Videos kannte mit eigenen Augen zu sehen, zauberte mir auch nach fast zwei Monaten noch immer ein Lächeln ins Gesicht. Ich hatte immer irgendwie zu den Menschen, die den PCT wanderten hinaufgeschaut und nun war ich eine von ihnen. Was eigentlich nur ein Beweis dafür war, dass die Leute hier auch nur ganz normale Menschen waren, so wie Du und ich. Man braucht keine besonderen Fähigkeiten, um diese Wanderung zu bestreiten. Nach einiger Zeit hier draußen muss ich den meisten Leuten zustimmen, die sagen, es sei nur eine Frage der Willenskraft. An meine körperlichen Grenzen bin ich bisher selten gekommen. Doch an langen Tagen, wenn die Füße, die Beine und die Hüfte weh taten, konnte ich mich doch gedanklich immer davon überzeugen, dass ich noch weiter gehen konnte. Am nächsten Morgen fühlte man sich aus irgendeinem Grund immer wie neu geboren – auch nach 50 km am Vortag (das sollte leider nicht für immer so bleiben, wie ihr später lesen werdet).

Der Abschnitt zwischen Ashland und Seiad Valley war zwar kurz, beinhaltete aber einen für mich riesigen Meilenstein: die Grenze zum letzten Staat entlang dieses Weges – California. Für mich war California ein ganz besonderer Ort. Hier hatte ich vor fast fünf Jahren meine große Liebe für‘s Backpacking entdeckt. Ich verband California immer mit dem PCT, vermutlich auch weil mehr als die Hälfte des Trails in diesem Bundesstaat lag. Doch auch abgesehen davon, hatte die Sierra Nevada für mich schon immer etwas mystisches und anziehendes. Das wusste schon Geologe und Naturalist John Muir, der übrigens dafür verantwortlich war, dass Yosemite der erste Nationalpark Amerikas wurde. Er war der erste, der Mt. Whitney über die Ostflanke bestieg, tüftelte eine Gletscherbasierte Theorie über den Ursprung des Yosemite Tals aus und kannte die Sierra Nevada so gut wie kein zweiter. In vielerlei Hinsicht war Muir ein beeindruckender Mann. Schottischer Herkunft kam er als Kind in die Vereinigten Staaten und musste sehr unter seinem strengen Vater leiden. Seinen größten Traum – zur Universität zu gehen und die Naturwissenschaften zu studieren – erfüllte er sich trotz vieler Strapazen, vor allem finanzieller Natur. Sein Genie wurde schon früh erkannt, als er durch seine meist nutzlosen aber lustigen Erfindungen bekannt wurde. Doch Muir war nicht nur ein Naturwissenschaftler, er schrieb auch wunderschöne Gedichte über die Natur und die Wildnis. Inspiriert hauptsächlich von der Sierra Nevada!

„Walk away quietly in any direction and taste the freedom of the mountaineer. Camp out among the grasses and gentians of glacial meadows, in craggy garden nooks full of nature’s darlings. Climb the mountains and get their good tidings, Nature’s peace will flow into you as sunshine flows into trees. The winds will blow their own freshness into you and the storms their energy, while cares will drop off like autumn leaves. As age comes on, one source of enjoyment after another is closed, but nature’s sources never fail.“

John Muir

Ich kann euch gar nicht erklären, warum dieser Ort auch mich so faszinierte, doch als ich das erste mal hier war, so schien es, blieb ein Teil meines Herzens hier und entwickelte sich in eine tiefe Sehnsucht. Ich erinnere mich gerne daran zurück, wie Leon und ich mit unseren unsäglich schweren Rucksäcken zum Glacier Point im Yosemite National Park hinauf gewandert waren. Ich hatte immer gehofft ich würde zurückkommen, und am meisten hatte ich gehofft, es würde auf dem PCT sein. 

Ich strahlte schon übers ganze Gesicht lange bevor wir die Grenze erreichten. Als das Schild mit der Aufschrift „Oregon/California“ endlich in Sichtweite war, zogen wir unseren Dosen Mojito aus der Tasche und stießen an. Dieser Tag musste gefeiert werden. Wir trugen uns ins Trail Register ein und schlürften genüsslich unseren Dosen Cocktail. So etwas gab es hier draußen nicht alle Tage.

Auf uns! Wir stürzen uns in den letzten Staat des PCT
California!!

Anschließend wanderten wir nur einen Kilometer weiter bis zur Donomore Cabin, die übrigens von Ducky’s Dad und anderen PCT Volunteers vor ca. 10 Jahren restauriert wurde – er hatte uns empfohlen hier zu übernachten. Vor der Hütte stand ein einladender Picknick Tisch und im Inneren gab es mehrere Feldbetten. Ich nahm mir eines und stellte es auf die Veranda. Von hier aus konnte man die Sterne sehen.

Zach und ich vor der Donomore Cabin

23.08.2024 – Tag 54

Während ich in meinem Zelt liege und diese Zeilen schreibe, prasselt der Regen auf mein Dach. Hin und wieder kommt eine Sturmböhe und bringt alles zum wackeln. Doch ich beginne am besten mit dem, was zuvor geschah:

Seiad Valley, eine winzige Stadt im Norden von California, war dafür bekannt heiß und trocken zu sein. Der Wettergott schien dieses Jahr eine Ausnahme zu machen. Hinter Seiad Valley folgte ein ca 30 km langer Aufstieg in die Berge. Die ersten 10 Kilometer davon verliefen auf einer Straße. Ich wanderte als erste nach der Mittagspause los und teilte Zach mit, wo ich vorhatte zu zelten: 14 Meilen nach Seiad Valley. Er sagte, er wüsste nicht, ob er es heute noch so weit schaffen würde, doch schlimmstenfalls würde er morgen aufholen. 

Die 10 Kilometer auf der Straße fühlten sich an wie 20, doch wenigstens war hier kaum Verkehr. Einen Kilometer bevor der Trail wieder in den Wald abbog, kam ein gelbes Auto neben mir zum stehen. Die Fahrerin fragte, ob sie mich hinauffahren sollte. Auf der Rückbank saßen Zach und Luke. Sie fuhr die beiden hinauf, kam wieder hinunter und sammelte mich ein. Ich freute mich, doch hatte ich den größten Teil der Straße sowieso schon hinter mir. Insgeheim hatte ich gehofft, Luke und Zach würden am Trailhead auf mich warten, doch als ich dort ankam, war keine Spur von ihnen. Ich begann bergauf zu wandern und musste recht bald feststellen, dass beide meine Knie schmerzten. Darüber hinaus war der Trail alles andere als angenehm zu gehen. Ich hatte einen stetigen Anstieg erwartet, doch stattdessen ging es steil auf und ab, auf und ab. Meinen Knien gefiel das gar nicht. Warum die plötzlich wehtaten wusste ich nicht, vielleicht hatte mein Knorpel nach jahrelanger Schwerstarbeit entschieden genau heute das Handtuch zu schmeißen. 

Als ich endlich nach einer gefühlten Ewigkeit die Campsite erreichte, sah ich, dass weder Luke noch Zach hier waren. Ich hatte schon befürchtet, dass sie die eingesparten 10 Kilometer dann doch noch hinten anhängen würden, doch innerlich hatte ich sehr gehofft, sie würden hier auf mich warten, oder wenigstens eine Nachricht hinterlassen. Resigniert baute ich mein Zelt auf und aß alleine zu Abend.

Als ich am nächsten Morgen aus dem Zelt kroch, musste ich sofort feststellen, dass meine Knie nicht wundersam über Nacht  genesen waren. Sie schmerzten und protestierten und waren wie es schien einfach erschöpft. Für einen Augenblick überlegte ich, wieder hinunter zu wandern und meinen Körper eine Pause zu gönnen (im Nachhinein weiß ich, ich hätte vielleicht genau das tun sollen), doch dann war mein Wille stärker und ich setzte mich in Bewegung. Schon nach kurzer Zeit begann es zu regnen. Auch wurde es nie richtig warm. Ich stieg bergauf und bergauf und es wurde kälter und nasser. Die Mittagspause ließ ich ausfallen, es war zu nass. Außerdem hatte ich Angst kalt zu werden, sobald ich eine Pause einlegen würde. 

Der Nebel verschlang die Landschaft und ließ kaum etwas übrig. Kurz nach Mittag verwandelte sich der Regen in Schnee. Meine Schuhe waren durchnässt und ich konnte nicht aufhören zu wandern, da sonst meine Füße kalt wurden. Ich aß im gehen: Kekse, Skittles, Müsliriegel, alles andere musste erst gekocht werden. Der Tag fühlte sich endlos an, man gewöhnte sich nicht wirklich an die Nässe. Vor allem nicht bei der Aussicht heute Nacht in ein nasses Zelt zu kriechen. 

Eines der wenigen Fotos dieses Tages
Sehr einladend

Gegen 16:00 Uhr hielt ich es nicht mehr aus. Es regnete in Strömen und der Wind peitschte mir ins Gesicht. Kurzerhand beschloss ich mein Zelt aufzubauen. Meine Knie meldeten sich ohnehin bei jedem Schritt zu Wort.

Das Zelt aufzubauen erwies sich im horizontalen Regen als eher schwierig und ich begann fast zu schreien vor lauter Frustration. Nach einiger Zeit hatte ich einen mittelmäßigen Pitch zustande gebracht und flüchtete mich hinein. Während ich mit meiner matschigen Regenkleidung im Zelt saß, machte ich nicht nur alles dreckig, sondern stellte auch alles in Frage: meine Knie schmerzten, es schneite im August, mir war kalt und ALLES an meinem Körper war nass. Selbst wenn morgen die Sonne scheinen sollte, hätte ich trotzdem nasse Füße. Die Schuhe würden hier nicht trocknen, höchstens über Nacht gefrieren.

24.08.2024 – Tag 55

Nach 14 Stunden hatte ich mein Zelt kein einziges Mal verlassen. Nicht einmal um meine Notdurft zu verrichten. Als ich aufwachte wütete der Sturm noch immer auf der anderen Seite der Zeltwand. Meine kleine Behausung machte erstaunlich gut mit – das sollte bei dem Preis aber auch zu erwarten sein! Durch die hohe Luftfeuchtigkeit war trotzdem alles feucht hier drinnen. Ich packte langsam ein, in meinem Zelt herrschte Chaos. Zum ersten Mal hatte ich mein Essen nicht in den Baum gehängt und so war es nicht weit zum Frühstück. 

Es war eine Kunst, die nassen und kalten Zehensocken anzuziehen. Meine Schuhe waren ebenfalls noch immer nass und quietschten, als ich hineinschlüpfte. Ich stand vor meinem Zelt und beäugte es vor dem zusammenpacken. Durch den Wind hatte es ein wenig Spannung verloren, doch keiner der Heringe hatte sich aus dem Boden gelöst. Das lag jedoch nur daran, dass ich große Steine auf die Heringe gelegt hatte. Als ich die Steine entfernte und die Heringe aus der Erde zog, musste ich feststellen, dass das Wasser eine kleine Höhle um jeden Hering gegraben hatte. Sie hinauszuziehen war also widerstandslos. Ich bedankte mich bei meiner gestrigen Geistesgegenwart, denn wie ich später erfahren würde hatte nicht jeder so weit gedacht.

Ich wanderte los mit schmerzenden knien, nassen Klamotten und vielleicht 20 m Sicht im Nebel. Da ich in einem kleinen Tal geschlafen hatte, wanderte ich ein wenig bergauf bis ich den ersten Schnee sah. Und es war nicht gerade wenig! Ich fror den ganzen Morgen, weniger wegen der Kälte (3°C) als wegen der nassen Sachen. Es waren 40 Kilometer bis nach Etna, das musste ich heute schaffen. Es fühlte sich unmöglich an in diesem Terrain. NorCal war bis hierhin erstaunlich anspruchsvoll gewesen. Steinige überwucherte Trails, viel steilere Steigung und überall umgefallene Bäume auf dem Weg. Struppiges Gebüsch zerriss was außen am Rucksack hing. Das alles zu navigieren kostete Zeit. NorCal war der am wenigsten beliebte Abschnitt des PCT und ich hatte das Gefühl, ich verstand inzwischen warum – die Vorfreude auf die Sierra konnten NorCal und der Schnee jedoch nicht trüben.

Der Tag war lang, ich zwang mich immer wieder dazu schneller zu gehen. Auf einem der mitten auf dem Trail liegenden Steine knickte mein Knöchel um. Das war schon etliche Male passiert, doch heute begann es tatsächlich weh zu tun und schwoll sogar ein wenig an. Doch es half ja nichts ich musste nach Etna.

Auf den letzten drei Kilometern des Abstiegs musste ich regelmäßige Pausen einlegen, weil meine Knie so wehtaten. Wie ein Pinguin stolperte ich den Trail hinunter. 

Um 17:30 erreichte ich den Etna Summit Trailhead. Erleichtert und mit einem warmen Bett in Aussicht stellte ich mich an die Straße. Lange warten musste ich nicht, denn über mein Garmin inreach hatte ich schon mit Trail Angel dusty korrespondiert, damit sie mich hier abholte. Und Dusty war wirklich ein Engel. Ich hatte bereits morgens mit ihr geschrieben und sie hatte mir die ganze Zeit aufmunternde Nachrichten geschrieben. „Stay safe, be warm“ und solche Sachen. Außerdem hatte sie scheinbar auch Sarah und Omar in die Stadt gebracht (ein belgisches Pärchen, die ich ein paar mal gesehen hatte) und mir von ihnen liebe Grüße ausgerichtet. Solche Kleinigkeiten können zwei miserable Tage doch ein kleines bisschen besser machen. Dusty lieferte mich vor der Bäckerei ab, empfahl mir das Bluebird Hostel für heute Nacht und ich bedankte mich gefühlt eintausend mal bei ihr. Ich buchte mir ein Bett im Bluebird, dass zwar eigentlich außerhalb meiner preislichen Schmerzgrenze lag, aber ein Frühstück beinhaltete. Außerdem hatte Zach mir geschrieben, er würde ebenfalls hier übernachten. Meinen ursprünglichen Platz für 5€ im Park zu zelten musste ich mit all meinem nassen Zeug leider verwerfen. Außerdem sehnte sich mein Körper nach einer erholsamen Nacht.

Noch bevor ich zum Hostel ging, traf ich Zach in der örtlichen Distillerie. Ich weiß nicht, ob das aus meinem Blog ersichtlich war, doch wir hatten uns seit 2 Tagen nicht gesehen, ich hatte auch sonst niemand in diesem Sturm gesehen. Und so erzählte Zach: er hatte weiter oben gezeltet, wo es nicht die ganze Nacht geregnet hatte, wie bei mir, sondern tatsächlich geschneit. Auf seinem Zelt bildete sich eine große Schneeschicht, die begann zu schmelzen und dann in der Nacht gefror. Irgendwann wurde es zu viel Schnee und Eis und sein Zelt kollabierte. Im Inneren stand am nächsten Morgen das Wasser und alles wirklich ALLES war nass. Auch Mister Jingles hatte mit Problemen zu kämpfen. Sein Wanderstock brach inzwei und bei einem Zelt, das mit den Wanderstöcken aufgebaut wurde, stellte das ein ziemliches Problem da, erst recht im Sturm. Mister Jingles wollte Etna eigentlich überspringen doch nun machte er sogar ein paar Tage Pause hier. Das schien der generelle Konsens hier zu sein. Niemand wollte morgen wieder auf den Trail. Zu guter letzt erzählte mir Zach sein Knöchel sei auch geschwollen und als ich ihm von meinen Knien erzählte meinte er „so geht es allen hier, ich glaube niemand kann mehr gehen.“ naja, immerhin war ich nicht die einzige. 

Zusammen gingen wir zum bluebird Inn. Ein wunderschönes kleines Häuschen mit Garten, Küche, Dusche… alles was man brauchte. Zach teilte mir direkt mit, er würde noch eine Nacht bleiben, ich war noch am überlegen, aber es war verlockend. 

Der Bluebird Inn und eine Explosion von Hiker Gear