09.08.2024 – Tag 40: Lavafelder und Meteorschauer
Nach einem Ruhetag in Bend fuhr Trail Angel Sriracha Ethan, Maria und mich zurück zum Trail. Dort wartete ein 24 km langer Abschnitt ohne Wasser auf uns, also mussten wir gleich mehrere Liter mitschleppen. Der Rucksack war durch den frisch aufgestockten Proviant sowieso schon schwer genug. Meine Schultern schmerzten eigentlich fast den ganzen Tag und nach der Mittagspause auch die Hüfte, wo der Hüftgurt saß.
Wir wanderten durch eine sandige Steppe, ohne Schatten und Zuflucht vor der Sonne. Im Osten bildeten sich hohe Gewitterwolken, doch der Wind blies sie weg von uns.
Langsam verwandelte sich der sandige Trail in einen von schwarzen Steinen durchzogenen Pfad, bis wir schließlich auf schwarzem Lavagestein wanderten. Rechts und links des Trails türmten sich erhärtete Lavabrocken. Die Umgebung war bizarr und das Wandern auf den scharfkantigen Steinen, die versuchten, sich durch die Sohlen zu bohren, schwierig und kräftezehrend. Ganze sieben Kilometer stolperten wir über die schwarzen Steine, bis uns die Fußsohlen schmerzten. Die Sonne schien golden durch den Rauch der Waldbrände im Süden, obwohl es mitten am Tag war.
Als wir endlich das Lavafeld verließen, kam uns der sandige Boden, der bei jedem Schritt nachgab, fast wie ein Geschenk vor. Wir nahmen den Abzweig zum Lava Lake und suchten nach einem geeigneten Ort, um die Zelte aufzubauen. Anschließend wuschen wir unsere sandigen Füße im See. Da sahen wir zwei Wanderer den Weg zum See hinaufwandern. Es waren Wingspan und Zach. Wir hatten mit ersterem gerechnet, doch Zach war erst heute Morgen in Portland gelandet, nachdem er seine Familie besucht hatte und wir wussten nicht, wann wir ihn wiedersehen würden. Um so größer war die Freude, ihn hier zu sehen. Gemeinsam saßen wir zusammen an einem Picknicktisch und erzählten, bis es dunkel wurde.
Als ich in meinem Zelt lag, sah ich helle, sich schnell bewegende Lichter am Himmel. Ich griff zu meiner Brille und sah weiße Bahnen grellen Lichts den Himmel hinabstürzen. Es dauerte nur ein paar Sekunden, dann war es wieder dunkel. Was ich gesehen hatte, war ein Meteorschauer. Ich blickte noch ein wenig länger in den Himmel, doch es blieb finster.
10.08.2024 – Tag 41
Ich wachte mit Halsschmerzen auf, doch ich war mir nicht sicher, ob sie vom Rauch in der Luft, vom Staub oder von der brutalen Klimaanlage im Hostel kamen (ich hatte dort die ganze Nacht gefroren). Etwas später als üblich brach ich das Lager ab und wanderte los. Die Landschaft war abwechslungsreich: Lavafelder, Wüste oder trockener Nadelwald. Was mich am meisten faszinierte, war der Obsidian, der überall auf dem Boden lag. Entweder schlummerten riesige Brocken des schwarz glänzenden Steins im Sand, oder kleine Splitter lagen mitten auf dem Trail. Wir machten es uns zur Aufgabe, die schönsten Stücke zu finden und mitzunehmen.
Im Obsidian Falls Wasserfall nahmen wir alle nacheinander eine eiskalte Dusche, dann aßen wir gemeinsam zu Mittag.
Nach ein paar Stunden erreichten wir einen Bergsee, wo Luke, Zach und ich noch einmal schwimmen gingen. Anschließend wanderte ich mit Zach gemeinsam fast bis zur Campsite am Mirror Lake. Alle gemeinsam saßen wir am Ufer und beobachteten die Sonne beim untergehen, während wir unsere Ramen schlürften und darüber diskutierten, wer die beste Kreation an Abendessen erschaffen hatte. Bei mir war Kartoffelbrei mit Ketchup momentan hoch im Kurs.
11.08.2024 – Tag 42
Die Halsschmerzen brachten mich um meinen Schlaf und als ich aufwachte fühlte ich mich nicht besonders ausgeruht. Mein Hals kratzte und ich musste husten, doch ich nahm nur zwei Ibuprofen Tabletten und hoffte, dass es über den Tag besser werden würde. Meistens konnte man hier draußen eh nichts anderes tun.
Die ersten paar Stunden wanderte ich alleine und war frustriert über meine Erkältung. Ich fühlte mich zwar in meiner Leistung nicht eingeschränkt, doch es gefiel mir nicht besonders, wenn etwas so offensichtlich nicht stimmte.
Zwei NOBOs kamen entgegen und drückten mir eine orangenfarbene analoge Kamera in die Hand. Diese wurde unter PCT Wanderern rumgereicht und später sollte der Film entwickelt werden. Ich wartete auf die anderen und schoss ein Foto von Ethan und Maria und später eines von Zach.
Wir wanderten ein Stückchen gemeinsam und pausierten neben einem kleinen Bach, als drei Reiter an uns vorbei kamen. Man sah sie nicht oft hier draußen, doch der PCT war historisch nicht nur ein Wanderweg, sondern auch ein Reitweg.
Nach einem Mittagessen am See und einer kleinen Schwimmrunde fühlte ich mich im Flow. Manchmal – bei mir besonders wenn ich Musik hörte – vergaß man alles um sich herum und die Kilometer flogen nur so dahin. Ich sprang über Baumstämme, lief fast die Hügel hinauf und vergaß meine Halsschmerzen.
Am Abend zelteten wir neben Stormy Lake, der hoffentlich heute Nacht seinem Namen keine Ehre machen würde und beendeten unseren Tag mit einer gemeinsamen abendlichen Schwimm Runde. Der See war um einiges kälter als die anderen zuvor, doch eine angenehme Erfrischung nach einem langen Tag in der Sonne. Sich von Dreck und Staub zu befreien fühlte sich fast so gut an, wie eine echte Dusche.
12.08.2024 – Tag 43
Ich spürte, wie die Sonne früher unter- und später aufging. Die Nächte wurden kühler und länger. Zum ersten Mal seit langem benötigte ich meine Daunenjacke und es war schwieriger, sich morgens aus dem Zelt zu schälen.
Es war ein weiterer langer Tag. Die erste Hälfte davon durch einen weltuntergangs-ähnlichen alten Waldbrand. Die verkohlten Bäume lagen auf dem sandigen Boden und zerfielen in tausende Einzelteile. Kein erwähnenswertes Fleckchen Grün war zu sehen in der regungslosen Wüste.
Als ich es am wenigsten erwartete, sah ich ein Schild: Trail Magic. Ich bog ein und wurde von „Ducky’s Dad“ begrüßt. Er stand an einem zweiplattigen Gaskocher und bot mir ein Hot Dog an. Hinter ihm saßen zahlreiche hiker, darunter auch Zach. Ich nahm mir eine Coke aus der Kühlbox, eine Banane und ein veganes Hot Dog. Ducky’s Dad war wie sein Name schon verriet der Vater von Ducky, einem ehemaligen Thru Hiker des PCT. Er und seine Frau Ducky’s Mom kamen jedes Jahr hier hinaus um uns Wanderern ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern. Ich sage euch, ein kühles Getränk schmeckte nie besser, als nach einem langen Abschnitt ohne Schatten und Wasser.
Wir blieben noch eine Weile sitzen und unterhielten uns mit den anderen Wanderern. Da war „Swiss Machine“ ein Schweizer mit auffallend hellblauen Augen, die in seinem gebräunten Gesicht förmlich hervorstachen, eine Frau aus Holland und zwei Amerikanerinnen.
Der Nachmittag war nicht besonders aufregend, Rauch von den Waldbränden südlich von uns ging in der Luft. Je weiter nach Süden wir kamen, desto trüber wurde die Luft. Als wir schließlich Rosary lakes erreichten, teilte uns eine Gruppe NOBOs mit, dass die Straße zum Crater Lake Rim Trail (unser Ziel für morgen) gesperrt werden würde. Wir beschlossen uns morgen mit diesem Problem zu befassen und verbrachten den Abend gemeinsam mit der NOBO Gruppe in der Campsite.
Wir spielten um die Wette, wer die meisten Skittles mit dem Mund auffangen konnte. Luke fing zwei, ich einen und Zach war nicht besonders talentiert. Die NOBOs hatten uns etliche Tage Übung voraus und schafften bis zu 5.
Wir saßen noch eine Weile gemeinsam vor unseren Zelten und erzählten uns Geschichten vom Trail, bis es schließlich zu kalt wurde und wir uns nach unseren warmen Schlafsäcken sehnten.
17.08.2024 – Tag 48
Zum Schutz vor Bären, Mäusen, Chipmunks und anderen Vierbeinern wurde das Essen bestenfalls nachts in den Baum gehängt. Während meine Wander-Freunde ihr Essen meistens einfach nachts im Zelt behielten, folgte ich vorschriftsgemäß dieser Regel. Nur das Nutellaglas durfte nachts im Schlafsack verbleiben. Ihr könnt euch ja vorstellen, wie schwer Nutella zu essen ist, wenn es bei 3°C über Nacht im Baum hängt. Ich hoffte, dass der köstliche Geruch des Nutellas von meinem Körpergeruch übertönt wurde, und sich kein Tier an mein Zelt trauen würde. Bisher ging das gut.
An manchen Tagen hörte ich Musik, an anderen Tagen setzte ich mich ganz bewusst meiner Umgebung aus. Manchmal fühlte ich den Drang, mein Gehirn irgendwie zu beschäftigen, während ich wanderte.
Als ich so vor mich hin wanderte sah ich Zach neben dem Trail sitzen und eine Mittagspause machen. Ich sagte ihm „nenn mir eine Zahl zwischen 1 und 100 und ich quadriere sie im Kopf.“ er lachte und sagte 17 – zu einfach: 289.
Also noch eine. Diesmal sagte er 67 oder so. Auch einfach, allerdings lag ich 3 daneben : 4489. Er war beeindruckt und wollte wissen wie das ging.
Es gibt einen recht einfachen Trick:
Nehmen wir an, ich will eine Zahl nahe 50 quadrieren. Zum Beispiel 48.
Zuerst rechne ich aus, was 50^2 ist: 2500
50 ist in dem Fall meine Referenzzahl, ich nenne sie R.
Von 2500 subtrahiert man dann die Differenz zu R und multipliziert sie mit 2R. Anschließend addiert man die quadrierte Differenz zu R.
In einer Formel also:
48^2 = 2500 – 2*2R+ 2^2 = 2304
R=50
Das geht mit jeder anderen Zahl auch, bei dreistelligen Zahlen ist es allerdings nicht mehr ganz so einfach.
Wenn mir langweilig war, suchte ich mir eine Zahl und quadrierte sie im Kopf.
Zach und ich machten es uns zur Aufgabe, einen einfachen Weg zu finden, die Quadratwurzel einer Zahl im Kopf zu ziehen. Bis heute sind wir nur bei Annäherungen, aber wir halten euch auf dem Laufenden.
18.08.2024 – Tag 49
Zum ersten Mal gelangten wir in ein Gewitter. Es war allerdings nicht eines dieser gewalttätigen, angsteinflößenden und von Sintflut oder Hagel begleiteten Gewittern, wie in den Alpen. Der Himmel zog sich zu, es donnerte ein paar mal und dann regnete es vielleicht… einen Millimeter. Gerade nicht genug, um die Regenhose auszupacken (die ich extra für diesen Trip angeschafft hatte!). Der Trail war jedoch überwuchert von Gestrüpp und dieses nasse Gestrüpp sorgte für ordentlich nasse Füße. Die Landschaft hier war so trocken und von ausgeblichenem gelben Gras geprägt, dass man sich gar nicht vorstellen konnte, es würde hier jemals regnen.
Als wir nach fast 50(!) Kilometern mit schmerzenden Füßen und schweren Beinen unsere campsite erreichten, zog ein dichter Nebel auf. Es stand bereits ein Zelt im Camp und wir luden die Bewohnerin Amelia zum Abendessen mit uns ein. Ganz beiläufig erzählte sie uns, sie hätte 7 Avocados dabei. Ungläubig schauten wir sie an, als sie auch noch eine Tüte Croissants, eine Packung Brownies, eine Flasche Whiskey und ein Tetrapak Wein auspackte. Lachend erzählte sie uns, sie wollte den Abschluss ihres ersten Staates (California, sie war NOBO) feiern und hatte insgeheim gehofft, andere Wanderer fürs Abendessen zu treffen. Großzügig teilte sie mit uns, the trail provides!
Was sonst noch geschah:
Wir spekulierten, ob der Krater wohl von einem Vulkanausbruch oder einem Meteor stammte. (Es war der Vulkan – naheliegend bei all diesen Vulkanen hier. Außerdem hätte ein Meteor dieser Größe sicher nicht nur die Dinosaurier ausgelöscht). Nach unseren Berechnungen a la 2*pi*r sollte der See ungefähr einen Umfang von 10 Meilen haben. Tatsächlich waren es 26 Meilen. Naja wir bleiben bei unseren Mathe Rätseln, ob erfolgreich oder nicht.
Inzwischen befinden wir uns übrigens ca 40 km entfernt von der Grenze zwischen Oregon und Kalifornien. Das hört sich an, als wären wir schon fast da (also in Mexiko meine ich). Naja – Kalifornien beherbergt ungefähr 2600 km des PCT. Schwer vorstellbar, naja, wir haben Spaß und je mehr Kilometer noch übrig sind, desto besser!