Helena Algermissen
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SMT – Abschnitt 11: Ein zweites Mal von Maribor nach Ankaran (mit Umwegen)

Tag 31: Nero (Near Zero)

Wie der Titel der heutigen Etappe schon sagt, bin ich nicht so viel gewandert. Mein Magen hatte sich noch nicht ganz wieder erholt und ich fühlte mich schlapp, also wanderte ich nur hinab ins Tal nach Trenta.

In unserem kleinen Biwak war es eng und ich hatte meinen Rucksack so gut es ging schon am Vortag gepackt, um nicht alle aufzuwecken. Ich schlief bis 5:00 Uhr und verließ leise die Schutzhütte. Die Sonne war noch nicht aufgegangen und ich ging hinüber zur Hütte, um ein wenig im Gastraum zu sitzen. Hier ordnete ich meinen Rucksack neu, zog mich um und dehnte mich ein wenig. Beim Hüttenwirt kaufte ich zwei kleine Päckchen Marmelade und frühstückte einen Tortilla Wrap mit Mandelmus und besagter Marmelade. Anschließend begann ich mit meiner Wanderung, doch zunächst in die entgegengesetzte Richtung, denn dort sollte sich scheinbar eine Wasserquelle befinden. Nachdem ich gut 10 Minuten zu einem See hinunter gewandert war und die besagte Quelle nicht finden konnte – der See war ja wohl nicht gemeint. Füllte ich meine Trinkblase mit algig-grünem Seewasser und wanderte wieder hinauf zur Hütte. Von hier schlug ich schließlich den Weg nach Trenta ein.

Die ersten paar hundert Höhenmeter wanderte ich noch auf kargem Gestein und einer alten Militärstraße, doch schließlich führte der Trail in den Wald hinein und auf weichem Waldboden durch ein grünes kleines Tal. Ein Trailrunner kam mir entgegen, der den Berg mit einer Leichtigkeit hinauflief, von der ich sogar bergab nur träumen konnte – naja er hatte ja auch keinen Rucksack…

Nach drei Stunden, um kurz nach 9:00 Uhr erreichte ich Trenta. Ich hatte einen Bärenhunger, also ging ich sofort in den Supermarkt. Hungrig einkaufen ist immer gefährlich. Ich kaufte mir ein halbes Brot, Erdnussbutter, eine riesige 300g Erdnuss-Schokolade und ein „Stück“ Apfelstrudel. Ich sah den Apfelstrudel in der Kühltheke und dachte mir, das wäre ein guter Snack. Die Verkäufern schnitt ein Stück ab und gab es zu mir an die Kasse. Erst nachdem ich bezahlt hatte, sah ich was für ein riesiges Stück Strudel sie mir gegeben hatte. Es wog ca. einen Kilo und stellte nicht nur mein zweites Frühstück, sondern auch mein Mittagessen dar.

Auf einer Bank in Trenta lag ich in der Sonne, bis kurz nach 12:00 Uhr mein Bus nach Vršič fuhr. Der Busfahrer war genervt, weil ich nur einen 10€ Schein hatte und er wenig Kleingeld zum Wechseln. Schließlich ging es sich doch aus und wir fuhren los. Eigentlich wäre ich von Trenta zur Hütte unter meinem letzten Berg Jalovec gewandert, doch ich fühlte mich nicht fit genug, noch 1500 hm am Nachmittag hinzulegen. Außerdem sollte es am Nachmittag gewittern und ich wollte nicht auch noch Stress haben, rechtzeitig den Berg hinauf zu kommen. Die Hütte war auch von Vršič zu erreichen (in der originalen Richtung des SMT – ich wanderte ja inzw in die entgegengesetzte).

Der Busfahrer fuhr einfach am Vršič Pass vorbei, anscheinend hatte er vergessen, dass ich hier aussteigen musste. Erst dachte ich, vielleicht sei die Bushaltestelle nicht direkt auf dem Pass, sondern etwas darunter, doch als wir uns weiter und weiter entfernten, fragte ich ihn, ob er nicht anhalten würde. Er antwortete etwas, das ich nicht verstand und öffnete die Türen. Ich sah es als Zeichen auszusteigen und wanderte auf der Straße wieder den Pass hinauf und zur Hütte Poštarski Dom. Hier angekommen checkte ich ein, gönnte mir eine luxuriöse und teure Dusche und legte mich in die Sonne. Als ich später zurück ins Lager ging, waren dort zwei junge Männer, Zoran und Paul, die sich auf englisch unterhielten und über „Jalovec“ redeten. Sie hatten scheinbar das gleiche Ziel wie ich, also ging ich hinüber und fragte, ob sie den SMT wanderten. Ich lag richtig mit der Vermutung und Zoran sagte zu mir „Du bist aber nicht die von YouTube?“ ich lachte und sagte „Ich glaube ich bin die von YouTube.“ Er sagte mir, er fand meine Videos sehr hilfreich, um diesen Trip zu planen, und dass er und sein Freund Volkert- der noch auf dem Berg unterwegs war- sich schon gefragt hatten, ob sie mich treffen würden. Paul hatten sie unterwegs getroffen, er war aus Schottland und die drei hatten sich jeden Tag zufällig auf den gleichen Hütten wiedergefunden, ohne dass es je geplant gewesen war. Ich unterhielt mich ein wenig mit den beiden. Zoran ging schließlich nach draußen und ich schrieb meinen Blog und folgte ihm ein wenig später. Er saß in einem Sonnenstuhl und unterhielt sich mit einer jungen Frau. Ich ging auf die beiden zu und die Frau kam mir unglaublich bekannt vor, sie war schneller von Begriff als ich und erkannte mich sofort, es war Magdalena, mit der ich zusammen MoBi studiert hatte. Wir waren sogar vor ein paar Jahren mal zusammen wandern, doch ich hatte sie ohne ihre Brille gar nicht erkannt. Was für ein lustiger Zufall. Magda war mit einer Freundin für einige Zeit auf dem Alpe-Adria Trail von Salzburg nach Triest unterwegs und kurze Zeit später kam ihre Freundin auch dazu und so wurde unser kleiner Kreis immer größer.

Der Hüttenwirt brachte uns eine Runde Schnaps for free und wir stoßen an. Ich gab meinen Schnaps allerdings nach einmal nippen an Zoran weiter, bin ja nicht gerade der größte Fan von starkem Alkohol. Nach einiger Zeit kam auch Volkert vom Berg und als es zu regnen begann verlagerten wir unsere nette Runde ins Innere der Hütte. Draußen tobte ein Gewitter und drinnen saßen wir zu sechst an unserem Tisch in der Ecke, eine lustige Gruppe aus Wanderern, die durch Zufall zueinander gefunden hatte.

Distanz: 12 km, +150 m, -1471 m

Tag 32: Die kleinste Hütte am SMT

Wir alle hatten das Frühstück in der Hütte gebucht, denn im Poštaski dom gab es ein Frühstücksbuffet mit frischem Obst, Joghurt, Müsli, Croissants und vielen mehr… Allerdings erst ab 7:00 Uhr, also hieß es ausschlafen. Wir frühstückten gemeinsam und dann trennten sich teilweise die Wege: Magdalena und ihre Freundin wanderten weiter auf dem Alpe-Adria Trail, Volkert, Zoran und ich hinauf zur Hütte unter „Špičko“. Paul fühlte sich nicht so gut und übersprang diesen Tag und den Gipfel Jalovec. Nach der Verabschiedung wanderte ich los in Richtung Špičko. So früh am Morgen war der sonst mit Touristen voll bepackte Vršič pass kaum wieder zu erkennen, bis dann schließlich ein landender Hubschrauber die frühmorgendliche Ruhe störte und ich meine Kappe festhalten musste, damit sie nicht wegflog. Doch schon bald bog ich in den Wald ein und hatte wieder meine Ruhe. Nachdem ich ein wenig in die falsche Richtung gewandert war, bemerkte ich den Fehler glücklicherweise schnell und adjustierte meinen Kurs in Richtung Špičko. Es war bewölkt und der Blick auf die Berge somit ein wenig getrübt, doch ich freute mich über die kühle Luft und die Aussicht auf Sonne am nächsten morgen.

Ich stieg ungefähr drei Stunden lang hinauf, als sich langsam die Wolken lichteten und ich Špičko und seine Hütte sah. Der Aufstieg war ein Kampf, ich fühlte mich zwar besser als gestern aber noch weit entfernt von „gut“. Also setzte ich mich auf einen Stein und machte Pause, nur 70 Höhenmeter unter der Hütte, doch ich konnte einfach nicht mehr. Während ich auf meinem Stein saß und in die Berge schaute überholten mich Volkert und Zoran. Die beiden wanderten direkt weiter zur Hütte – „Bis gleich.“ sagte ich. Dann schulterte ich meinen Rucksack und nahm langsam die letzten 70 m in Angriff.

Das für 11:00 Uhr angekündigte Gewitter – welches Grund für unsere Eile beim Aufstieg war – blieb aus und Volkert und Zoran überlegten, ob sie noch Jalovec besteigen sollten, den sie eigentlich geplant hatten, auszulassen. Wir waren alle erschöpft und entschieden uns zuerst für ein Nickerchen in unserem gemütlichen Schlaflager. Als ich schließlich wieder hinunter in den Gastraum kam, waren Zoran und Volkert schon wieder wach und spielten Schach. Ich kochte mir etwas zu essen und leistete den beiden Gesellschaft. Leider hatte ich Kopfschmerzen und ein insgesamt seltsames Körpergefühl, also legte ich mich gegen 18:00 Uhr ins Bett und blieb auch dort.

Distanz: 9 km, +865 m, -670 m

Tag 33: Das Ende

Ich wachte auf als die anderen Bergsteiger ihre Wecker um 4:30 Uhr nicht besonders schnell ausmachten und dann lautstark ihre Sachen zusammen packten. Nachdem viele bereits gegangen waren, beschloss ich um 4:45 Uhr auch aufzustehen, ich hatte sowieso vor gehabt früh zu starten und mich von Zoran und Volkert bereits gestern verabschiedet. Leise schlich ich hinunter in den Gastraum, aß ein schnelles Frühstück und schritt hinaus in die kühle Morgenluft. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, doch es war gerade hell genug, um ohne Kopflampe zu wandern.

Ich begann den Aufstieg zu Jalovec, welcher sich als sehr viel steiler und anspruchsvoller herausstellte, als erwartet. Wenn ich eins fühlte, dann Angst. Ich war alleine, ich fühlte mich nicht gut und jetzt hatte auch auch noch Angst. Langsam stieg ich höher, hielt mich an Stahlseilen fest und machte gefühlt alle 10 Schritte Pause. Ich hatte einfach keine Kraft. Mein ganzer Körper sagte mir „Schlechte Idee“. Ich setzte mich kurz hin, schaute in die Berge hinter welchen jede Sekunde die Sonne hervorlugen würde und versuchte mich zu beruhigen. Immer wieder sagte ich mir „du schaffst das“ doch es fühlte sich an wie eine Lüge, die man sich nur oft genug erzählen musste, bis man sie schließlich glaubte. Ich stand auf und versuchte meinen Aufstieg fortzusetzen, doch nach wenigen Minuten stellte ich fest, dass es das einfach nicht wert war. Ich fühlte mich körperlich miserabel sobald ich mich anstrengte und die damit verbundene Angst war der eigentliche Grund, warum ich aufgab.

Die Sonne ging auf und schien mir ins Gesicht und ich dachte mir „Du musst das nicht machen.“ Also schaute ich ein letztes Mal hinauf und stieg anschließend wieder hinab. Die Entscheidung fühlte sich befreiend an und ich wusste sofort, es war die richtige. Viele Bergsteiger kamen mir entgegen, einer fragte mich, ob es oben schön sei. „Ich weiß es nicht“ sagte ich „Ich war nicht oben.“.

Jalovec war der Endpunkt meiner Wanderung, und obwohl ich diesen nicht erreichte, war es nun geschafft. Theoretisch hatte ich den Slovenian Mountain Trail ein zweites Mal abgeschlossen und doch fühlte es sich seltsam an. Ein Teil von mir bewertete mein Aufgeben als Versagen, als „Das hätte man auch schaffen können, hätte man sich nur dazu gezwungen“ – doch wofür? Besonders nach dem GR11 im letzten Jahr fragte ich mich immer wieder, warum ich eigentlich auf diese langen Wanderungen ging. Meine persönliche Antwort war: Um Spaß zu haben, um Zeit in der Natur zu verbringen, um mein Leben zu entschleunigen, um mich an meine eigenen Grenzen zu bringen, sie dennoch zu respektieren – aber am meisten: um eine gute und unvergessliche Zeit zu haben.

Wenn es etwas in meinem Leben gibt, was mich als Person am meisten geformt hat, sind es vermutlich mein Umzug nach Salzburg und all diese Wanderungen, auf denen ich Zeit hatte, mich ohne Ablenkung mit meinen Gedanken zu beschäftigen. Ich liebe es mit Freunden zu wandern und die ersten zwei Wochen mit Marijn waren ohne Frage toll, doch am meisten werde ich mich an die Tage erinnern, an denen ich Ideen austüftelte, versuchte meine eigenen Gefühle und Signale meines Körpers besser zu verstehen und darauf einzugehen. Was das betrifft kann ich Jalovec durchaus als Erfolg verbuchen. Und nicht nur Jalovec, die ganze Wanderung. Nach dem Sommersemester, viel Stress, vielen Prüfungen und vielen Stunden am Schreibtisch, fühlte ich mich ein wenig ausgebrannt. Schon während der Wanderung begann ich eine Liste zu führen mit Ideen und Zielen für das nächste „Jahr“ welches allerdings gefühlt eher mit dem Beginn des Semesters im Oktober beginnt, als im Januar.

Voller Freude und Zufriedenheit blicke ich auf meine Wanderung zurück und kann es kaum erwarten, meine Pläne in die Tat umzusetzen, eine warme Dusche zu nehmen, die länger als 3 Minuten ist, frisches Gemüse zu essen und zurück in mein „normales“ Leben einzutauchen. Freunde und Familie wiederzusehen, und ein wenig in Erinnerung zu schwelgen.

Die Ziele meiner Wanderung hatte ich erfüllt: Spaß in der Natur haben, nachdenken, meine eigenen Grenzen respektieren und gnädig mit mir selbst zu sein. Für mindestens ein halbes Jahr bin ich vermutlich zufrieden, bis der Hunger nach dem Fernwandern wieder erwacht. Doch bis dahin freue ich mich über all die kleinen Dinge, die sonst so selbstverständlich sind.

Wie immer zum Abschluss ein riesiges Dankeschön an alle Leser:innen, ich freue mich jedes Mal wieder euch alle an Bord zu haben. ❤️

  1. Aug 20, 2023 7:37 am

    Du hast meinen Respekt – einmal vor der sportlichen Leistung, aber fast noch mehr vor der Leistung, dass du deine Grenzen erkennst und sie auch respektierst. Hut ab.