Tag 28: Weit, hoch, lang
Da ich es nicht eilig hatte, stand ich ohne Wecker um kurz vor 6:00 Uhr auf. Vom Balkon aus beobachtete ich die aufgehende Sonne im Tal bevor ich meinen Rucksack packte und fürs Frühstück in den Gastraum hinunter ging. Die Wirtin frage mich, ob ich einen Kaffee wolle, und als ich ja sagte brachte sie mir eine große Tasse Kaffee und ein paar Kekse. Ich frühstückte und wollte bezahlen, da sagte sie mir, der Kaffee sei geschenkt! Ich bedankte mich, sie wünschte mir viel Glück und ich machte mich auf den Weg zum Trail.
Das Tal war noch von Wolken verdeckt und die darüber stehende Sonne erleuchtete die Wolkendecke und die umliegenden Berge in hellem Morgenrot. Ich wanderte auf einem Grat durch die Wolkendecke hindurch und hinein in den Wald.
Nach gut 2 Stunden auf dem Waldweg erreichte ich Pod Brdo, einen winzigen Ort mit einem Supermarkt, Café und Touristen Information. Ich erledigte meinen Einkauf, verzehrte ein zweites Frühstück direkt vor Ort und verließ den Ort in Richtung Norden wieder.
Mein Weg führte durch den Wald bergauf bis zu einem Pass, an dem ich links abbog und endlich ein paar Berge zu Gesicht bekam. Auf einem kleineren Peak, von dem man das Tal überblicken konnte, machte ich Pause. Ich legte meine Zeltplane auf den Boden und setzte mich drauf, um eine Schutzbarriere zwischen mich und die Zecken zu bringen.
Nach der Pause stieg ich weiter hinauf bis zu Črna Prst und der direkt darunter liegenden Hütte. Der Weg verlief nun oberhalb der Baumgrenze und zu meiner Rechten konnte ich tief in den Triglav Nationalpark hineinschauen, der von Triglav höchst selbst überwacht wurde. Die weichen Wald Wanderwege wurden zu Geröll und Stein und schon bald musste ich auch meine Hände wieder einsetzen, um mich am Fels festzuhalten.
Gegen 14:30 Uhr erreichte ich die Hütte und bestellte ein alkoholfreies Radler. Ich fragte die Wirtin wie weit es zur nächsten Hütte, Koča na planini Razor sei, und sie sagte 6-7 Stunden. „Das wird knapp.“ antwortete ich und verabschiedete mich. Ich war noch lange nicht erschöpft und wenn ich schon heute bis zur Koča na planini Razor wanderte, hätte ich morgen keinen kurzen Tag. Eigentlich würde ich morgen dorthin wandern, aber nicht weiter, denn die nächste Hütte war eine ganze Tagesetappe entfernt.
Ich packte meine Sachen und brach auf. Für den Rest des Tages wanderte ich entlang eines ausgesetzten Grats, Triglav zur rechten und Tolmin und das Soča Tal zur linken. Um diese Uhrzeit waren keine anderen Wanderer mehr unterwegs, sodass ich quasi den ganzen Trail für mich allein hatte. Oder: niemand anders war blöd genug um 15:00 Uhr auf eine 6-stündige Etappe aufzubrechen.
Gegen 18:00 Uhr wurden meine Beine dann doch langsam etwas müde und vor allem ging mir langsam das Wasser aus. Ich wusste, ich könnte es bis zur Hütte schaffen, ohne zu stark dehydriert zu sein, doch ich war weit entfernt davon, so viel zu trinken, wie ich wollte und heute war ein heißer Tag. Die ganze Etappe wurde begleitet von der Angst, nicht rechtzeitig an der Hütte anzukommen. Ich hatte zwar eine Kopflampe, aber ohne Wasser wollte ich nicht in brenzliche Situationen gelangen. Als ich den Gipfel Vogel erreichte trank ich meinen letzten Schluck Wasser und begann den Abstieg zur Hütte.
Um 19:45 Uhr kam ich endlich an und suchte sofort nach Wasser. Im Badezimmer hing kein „voda ni pitna“ Schild, also ging ich davon aus, das Wasser sei trinkbar. Erst nachdem ich eine halbe Flasche getrunken hatte, checkte ich ein und bestellte mir etwas zu essen. Anschließend fragte ich noch schnell, ob das Wasser eh trinkbar sei. Der Wirt sagte weder eindeutig ja oder nein. Er sagte nur sie würden es selbst nicht trinken.
Distanz: 35,6 km, +2455 m, -2737 m
Tag 29: Zwischen den Relikten des ersten Weltkrieges
Nicht ganz so früh wie sonst stand ich auf, frühstückte im Gastraum und machte mich auf den Weg. Ich war irgendwie nicht ganz so euphorisch wie sonst, meine Wanderung zu starten, doch ich schob es auf die lange Etappe von gestern.
Ungefähr 6 Stunden führte der Trail leicht bergauf auf einem alten Militärweg. Ich war erfreut über das „seichte“ Gefälle, denn hier war das Gehen relativ angenehm. Als ich höher stieg verschwanden Wiesen und Zwergkiefern aus meinem Sichtfeld und wurden durch massive Felsbrocken ersetzt. Der Trail war in die Flanke eines Berges geschlagen, also quasi „überdacht“ vom Berg.
Es ging weiter und weiter bergauf, mein Weg verwandelte sich in Geröll und schon bald glich die Umgebung einer Mondlandschaft. Außer einer Bergziegen Familie sah es hier oben wenig lebendig aus.
Auf einem Sattel trohnte ein Denkmal für gefallene Soldaten des Ersten Weltkriegs. Die Wege, die ich heute wanderte, waren einst Schauplätze der erbarmungslosen Gefechte zwischen den Österreich-Ungarnern (?), zu welchen seinerzeit auch die Slowenen gehörten, und Italienern. Im Triglav Nationalpark sind zahlreiche Überreste aus dieser Zeit erhalten geblieben, darunter Schützengräben, Bunker und andere militärische Strukturen. Diese Relikte erinnern an die schwierigen Bedingungen während des Gebirgskrieges. Der Park ist auch ein wichtiger Teil der Geschichte und erinnert daran, wie stark die Landschaft von den Ereignissen des Ersten Weltkriegs geprägt wurde.
Besonderes die Gipfel Krn und Batognica, welche ich im Laufe des Tages auch bestieg, beherbergen noch heute alte Geschützlafetten und Minen. Die Spitze von Batognica wurde während einer Explosion versehentlich weggesprengt, weshalb der Berg heute nicht mehr ganz so hoch ist wie früher.
Direkt unter der Spitze von Krn lag eine kleine Hütte. Ich bestellte mir eine Cola, denn die letzten paar hundert Höhenmeter waren mir schwer gefallen. Ich fühlte mich erschöpft und ohne Kraft in den Beinen – vermutlich eine Belohnung für meine lange Wanderung gestern. Die Cola holte mich zwar nicht ganz aus dem Tief heraus, aber brachte mich immerhin bis zur Spitze von Krn und zur nächsten Hütte am Krnsko Jezero. Von der Spitze konnte man in ein wunderschönes Tal blicken.
Erschöpft begann ich den Abstieg zur Hütte, der gefühlt einfach nicht enden wollte. Als ich den Krnsko Jezero erreichte, setzte ich mich ans Ufer und blickte zurück in die Berge.
Anschließend wanderte ich zur Hütte Planinski Dom pri Krnskih Jezerih. Ziemlich fertig von meinem langen Tag checkte ich ein und bezahlte für mein Bett. Außerdem kaufte ich eine Flasche Wasser, denn der Wirt sagte mir, es gäbe kein Wasser hier und ich müsse es bei ihm kaufen. Dass ich vergessen hatte, meinen Alpenvereins-ausweis zu zeigen, merkte ich erst später als ich mich über den hohen Preis wunderte. Sofort ging ich wieder hinein und bat den Hüttenwirt, mir die Differenz zurück zu geben, denn immerhin hatte ich das doppelte bezahlt. Er fragte mich herausfordernd, ob er mir jetzt Geld aus seiner eigenen Tasche für meinen Fehler zurück zahlen sollte. Ich versuchte meine Situation zu erklären, dass ich erschöpft war, einfach den Ausweis vergessen hatte und gestresst war, weil andere Wanderer hinter mir warteten. Er sagte mir es sei jetzt zu spät und nachdem ich noch einmal fragte wurde er laut und drohte, mich rauszuschmeißen. Ich gab auf und verließ wütend die Hütte. Nur kurze Zeit später fand ich auf der anderen Seite der Hütte einen Wasserhahn, an dem Wanderer ihre Flaschen auffüllten. Angelogen hatte er mich also auch noch, als ich ihn fragte, ob es irgendwo in der Gegend Wasser gab.
Obwohl ich nicht wirklich hungrig war kochte ich mir Couscous mit Paprika-Kichererbsen Paste und Käse. Es schmeckte eigentlich gar nicht so schlecht, doch ich hatte Schwierigkeiten aufzuessen.
Ich sah zwei jüngere Wanderer, die sich auf Englisch unterhielten. Ich fragte sie, wo sie herkamen und es stellte sich heraus, dass einer von ihnen aus Quebec in Canada war und der andere aus Frankreich. Sie lebten in Berlin und London und wanderten jedes Jahr gemeinsam irgendwo, dieses Jahr war es Slowenien. Ich verbrachte den Rest des Abends mit den beiden und vergaß meine unangenehme Interaktion mit dem Hüttenwirt fast.
Distanz: 25,4 km, +1897 m, -1837 m
Tag 30: Ein Monat auf dem Trail
Ich schlief schlecht und schwitzte in der Nacht, obwohl es hier gar nicht so heiß war. Mein Magen fühlte ich seltsam an und als ich aufstand, merkte ich auch wieso: scheinbar hatte ich etwas falsches gegessen oder getrunken, hin und wieder bekam ich Magenkrämpfe. Wäre ich in einer anderen Hütte gewesen, hätte ich vielleicht überlegt eine weitere Nacht zu bleiben, doch in Gegenwart dieses Hüttenwirts wollte ich nicht länger als nötig Zeit verbringen. Wie schon erwartet hatte ich absolut keinen Appetit auf Frühstück, doch ich zwang mich zumindest einen Tortilla Wrap mit Mandelmus zu essen. Mein Magen nahm das einigermaßen gut hin, auch wenn die ersten paar Stunden des Tages noch von Krämpfen begleitet wurden.
Ich füllte meine Flasche am geheimen Wasserhahn auf und wanderte los. So früh am Morgen war niemand unterwegs und die Luft war noch angenehm kühl. Beim wandern fühlte ich mich relativ gut, nur die Aufstiege fielen mir schwer. Ich schwitzte ohne Ende und jeder Höhenmeter fühlte sich doppelt so schwer an wie sonst.
Ich überquerte den Bogatinsko Sedlo, einen Pass, der 27 Jahre lang die Grenze zwischen dem Königreich Italien und dem Königreich Serbien, Kroatien und Slovenien war (ab 1929 auch Jugoslawien genannt). Heute liegt der Bogatinsko sedlo offensichtlich in Slowenien. Hinter dem Pass lagen alte Partisanen Krankenhäuser, in denen verwundete Soldaten versorgt wurden. Diese Krankenhäuser sind heute Berghütten, in denen man übernachten kann.
Ich erreichte die Hütte Dom na Komni gegen 11:00 Uhr und bestellte mir eine Coke und eine Packung Salzstangen – soll ja helfen bei Magenschmerzen. Ich war froh überhaupt etwas essen zu können und fühlte mich tatsächlich etwas besser nach der kleinen Mahlzeit. Auf der Terrasse saß ich noch gut anderthalb Stunden in der Sonne, und überlegte, ob ich noch weitergehen sollte. Ich fühlte mich besser als heute Morgen und bis zur nächsten Hütte waren es gut zwei Stunden. Recht optimistisch begab ich mich auf die nächste Etappe, was ich leider schon bald bereute. Vor der Hütte in der Sonne liegend fühlte ich mich recht gut, wandernd, vor allem bergauf, leider eher weniger. Die Wanderung war wunderschön durch den dichten, fast unberührten Wald auf von Blumen gesäumten schmalen Pfaden. Für mich war sie allerdings auch ziemlich hart und ich sehnte mir das Ende herbei.
Nach gut zwei Stunden hatte ich es geschafft und erreichte die Hütte zwischen den Triglav Seen. Hier wimmelte es von Menschen und ich musste mir erst einmal ein ruhiges Plätzchen suchen. Inzwischen hatte ich auch Hunger, was meiner Meinung nach ein gutes Zeichen für meinen Magen war. Leider hatte ich nur noch Couscous und Paprikapaste übrig, was eigentlich ja kein Problem war, doch sobald ich nur daran dachte, drehte sich mir der Magen um. Irgendwie habe ich die Angewohnheit, dass ich die Mahlzeit, von der – oder – nach der ich krank wurde, nicht mehr sehen kann. Leider bestand nicht viel Auswahl… Also, Couscous mit Paprika stand nicht zur Debatte, daher bestellte ich mir Nudeln und ein Stück Tiramisu in der Hütte.
Anschließend legte ich mich auf eine Bank im Gastraum, denn ich war plötzlich unendlich erschöpft. Viele Leute waren in der Hütte und unterhielten sich lautstark, doch ich schlief ganze drei Stunden auf der harten Holzbank und verschlief sogar ein Gewitter, das draußen wütete.
Nach meinem Schläfchen fühlte ich mich erstaunlich fit und da die Hütte hier voll war, beschloss ich noch zwei Stunden bis zur nächsten zu wandern. Der Weg führte vorbei an den Triglav Seen, von denen es insgesamt 7 gab – ich sah nur 5 von ihnen, doch alle 5 waren wunderschön und spiegelten den blauen Himmel wie eine Glasscheibe. Ich hätte meine Umgebung vielleicht etwas mehr bewundert, wenn da nicht das Loch in meinem Bauch gewesen wäre. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte mal solchen Hunger verspürt hatte, doch ich hatte leider keine Snacks mehr im Rucksack! Da war bei der Planung dieses Mal wohl etwas schief gelaufen…
Gegen 19:00 Uhr erreichte ich schließlich erschöpft und erleichtert die letzte Hütte für heute: Zasavska Koča na prehodavcih (das soll mal einer aussprechen). Die Hütte war wunderschön direkt über dem Tal und vor einem atemberaubenden Alpenpanorama gelegen. Bevor ich mich niederließ, fragte ich den Hüttenwirt, ob denn noch Platz war. Leider nein, aber er setzte mich auf die Warteliste. Nun das übliche Nahrungsdilemma: couscous mit Paprikapaste kam nicht in frage also bestellte ich mir Pfannkuchen und eine Cola. Dass ein koffeinhaltiger Drink am Abend vielleicht nicht die beste Idee war, kam mir erst später in den Sinn (als ich nicht einschlafen konnte). Ich beobachtete den Sonnenuntergang in meinem Sonnenstuhl, als der Hüttenwirt zu mir kam um mir mitzuteilen, dass ein Bett im Biwak frei war – juhu!
Distanz: 21 km, +1238 m, -559 m