Helena Algermissen
Welcome to my Website!
Feel free to take a look around in my portfolio or get lost in my long-distance-hiking blog.

Enjoy!

47.8071867° N
13.0744772° E


helena.algermissen@gmail.com

Washington Part 4 – Die Zeit verfliegt

Montag, 18. April 2022

Auf der Farm gibt es keine Feiertage, denn auch an Ostermontag ist jede Menge Arbeit zu erledigen! Nach der üblichen Morgenroutine machten wir uns bereit für den heutigen Tag. Da die Temperaturen die Arbeit vor 9:00 Uhr aktuell eher unangenehm gestalteten, starteten wir meist recht spät. Mir war das ehrlich gesagt ganz recht, denn so hatte ich schon vor Arbeitsbeginn Zeit für meine Übungen und um mir in aller Ruhe Frühstück zuzubereiten, welches immerhin meine liebste Mahlzeit des Tages war!

Der heutige Tag war etwas weniger abwechslungsreich als die bisherigen. Wir verteilten Dung auf einem letzte Woche von uns vorbereiteten Beet und bepflanzten es mit Brokkoli und Grünkohl. Die Setzlinge waren schon vor Monaten gesät worden und im Gewächshaus soweit herangewachsen, dass sie nun bereit waren in die Erde gesetzt zu werden. In gleichmäßigen Abständen gruben wir kleine Löcher und setzten die Pflänzchen behutsam mit unseren Händen hinein. Dabei ist besondere Vorsicht geboten, keine Blätter abzuknicken oder die Setzlinge anderweitig zu beschädigen, was sich allerdings als gar nicht so einfach erwies. Es war kalt und regnerisch zugleich – durch die Nässe fühlten sich unsere Finger noch kälter an, als sie ohnehin schon waren, und da wir nach nur einer Stunde kein Gefühl mehr in den Fingern hatten, beschlossen wir mit Handschuhen zu arbeiten. Nachdem das ganze Beet bepflanzt war, deckten wir es ab, um die kleinen Pflänzchen vor Wind, Wetter und hungrigen Wildtieren zu schützen. Die Abdeckung war außerdem in der Lage, die Temperatur etwas konstanter zu halten – wie ein Mini Gewächshaus quasi.

Anschließend starteten wir mit dem nächsten Beet. Gleicher Prozess, anderes Gemüse: Hier sollte Kohl wachsen.

Nach der Arbeit spielte ich ein wenig auf meiner Gitarre und kochte mir etwas zu essen. Das Wetter lud nicht gerade dazu ein, sich draußen aufzuhalten, also verbrachte ich den Abend im Wohnwagen.

Dienstag, 19. April 2022

Heute klingelte der Wecker um 4:15 Uhr! Das war selbst für mich als Frühaufsteherin etwas zu bald, doch wir hatten besondere Pläne. Zwei Tage zuvor war Vollmond gewesen und Seth hatte geplant mit uns gewisse Pflanzen zu ernten, die wir später weiterverarbeiten würden. Er erklärte uns, dass die Pflanzen während des vollen Mondes am meisten Flüssigkeit inklusive der enthaltenen Nährstoffe speichern und genau danach waren wir auf der Jagd. Tagsüber betreiben die Pflanzen Photosynthese, doch in der Nacht geschieht das meiste Wachstum, daher mussten sie vor Sonnenaufgang geerntet werden. Mit Kopflampen, einem sichelförmigen Erntewerkzeug und einer großen Umhängetasche ausgerüstet brachen wir in die klirrende Kälte des anbrechenden Morgens auf. Seth erntete Brennnesseln (Urtica) , Beifuß (Artemisia vulgaris) und Desert Parsley (Lomatium grayi), eine in nur wenigen US-Bundesstaaten vorkommende Pflanzenart in der Familie der Doldenblütler – zu dieser zählt unter anderem auch Bärenklau. Beifuß stammt aus der Familie der Korbblütler, hat einen besonders hohen Eisengehalt und ein breites medizinisches Anwendungsspektrum. In der traditionellen Chinesischen Medizin wird es zur Bekämpfung von Malaria eingesetzt, es wirkt aber auch antibakteriell, appetitanregend, beruhigend, durchblutungsfördernd, galletreibend, krampflösend, verdauungsfördernd und wehenfördernd (das ist ganz schön viel!!!).

Kennedy und ich ernteten Alfalfa (amerikanischer Name, deutsch: Luzerne). Alfalfa stammt aus der Familie der Hülsenfrüchtler und besitzt wie viele andere Familienmitglieder die Fähigkeit mit Hilfe von Knöllchenbakterien (Rhizobien) an den Wurzeln elementaren Stickstoff aufzunehmen und in Form von Aminosäuren zu binden. Stickstoff ist einer der Hauptbestandteile von Aminosäuren, die ihren Namen der Carbonsäure- und der Aminogruppe (-NH2) verdanken, die ihnen ihre einzigartigen chemischen Eigenschaften verleihen.

Kurz bevor die Sonne aufging beendeten wir unsere Ernte und brachten unsere Ausbeute ins „Labor“. Wir stellten Fermented Plant Juice FJP (fermentierten Pflanzensaft) daraus her. FJP ist ein fermentierter Extrakt des Saftes und Chlorophylls der jeweiligen Pflanze. Die Menge an geerntetem Pflanzenmaterial wird gewogen und die gleiche Menge an braunem Zucker hinzugegeben. Dieser erschafft ein Konzentrationsgefälle, sodass der osmotische Druck die Extraktion antreibt. Die Konzentration an Zucker ist außerhalb der Pflanzenzellen also höher, als innen. Um diesen Konzentrationsunterschied auszugleichen strömt das Wasser durch den osmotischen Druck angetrieben aus den Pflanzenzellen heraus. Dieser Prozess wird durch die semipermeable Membran der Pflanzenzellen ermöglicht, die kleine Moleküle wie beispielsweise Wasser passieren lässt. Proteine jedoch können die Membran nicht passieren. Mikroorganismen führen die eigentliche Fermentation durch, in diesem Prozess entsteht auch eine kleine Menge an Alkohol.

Nachdem Pflanzenmaterial und Zucker vermischt wurden, wird die Masse mit den Händen geknetet, bis man die Feuchtigkeit aus den Pflanzenzellen austreten spürt. Nun wird die feuchte Masse in ein Glasgefäß gefüllt und mit einer Schicht Zucker überdeckt. Wichtig ist dabei, dass das Gefäß zu ungefähr zwei Dritteln gefüllt ist. Zu guter letzt wird ein Stück Küchenrolle mit einem Gummiband über der Öffnung platziert, damit noch Gasaustausch stattfinden kann, aber keine Verunreinigung durch „falsche“ Pilze oder Bakterien mehr möglich ist. Das Gefäß wird in einen Ort gestellt, an dem die Temperatur konstant bleibt. Nun findet die Fermentation statt, die je nach Temperatur 5-7 Tage dauern kann.

Unsere Ernte brachte uns eine Ausbeute von 4 Gläsern, die nun in einem Schrank im Labor gelagert waren.

Der FPJ kann als eine Art Dünger verwendet werden und wirkt am besten für die Pflanze, von der er gewonnen wurde. Da der Saft viele Nährstoffe besitzt, fördert er das Pflanzenwachstum die Bodengesundheit. Die Herstellung ist bis auf den Zucker kostenlos und ist daher auf mehreren Ebenen günstiger als herkömmlicher Dünger. Außerdem freuen sich die Mikroorganismen im Boden 😉

Fermented Plant Juice in the making

Nach dem die vier Gläser verstaut waren, machten Kennedy und ich bis 9:00 Uhr Pause. Ich nutze die Chance um eine zweite Tasse Kaffee zu trinken und sie machte sich Frühstück.

Den Vormittag verbrachten wir damit noch mehr Kohl und Frühlingszwiebeln zu pflanzen. Die Frühlingszwiebeln setzen wir zwischen die Brokkoli und Kohl Setzlinge, da sie nicht viel Platz zum wachsen benötigen.

Baby-Zwiebel

Immer wieder kam Larry (Anne) uns besuchen und strich durch die Beete. Manchmal schien es, als wolle sie uns von der Arbeit abhalten, nur um ihre Streicheleinheiten zu bekommen.

Da wir heute viel früher begonnen hatten, als sonst, hörten wir auch früher mit der Arbeit auf, sodass ich anschließend Zeit hatte in der Umgebung spazieren zu gehen.

Mittwoch, 20. April 2022

Nach der üblichen Morgenroutine frühstückte ich und wir begannen wie immer um 9:00 Uhr mit der Arbeit. Für heute hatten wir uns die Beete auf der Westseite der Farm vorgenommen. Die Wege mussten mit Holzspänen bedeckt und jede Menge Unkraut gejätet werden. Beides war nicht besonders spannend, muss jedoch im Frühling dringend gemacht werden, also verteilten wir mit unseren Mistgabeln Haufen für Haufen Holzspäne auf den Wegen. Anschließend widmeten wir uns dem Unkraut und rupften viele Büschel Gras, Löwenzahn und anderes Unkraut aus der Erde.

Nach der Arbeit gingen Kennedy und ich einkaufen und kochten gemeinsam ein veganes Curry mit roten Linsen, Kartoffeln und Spinat. Wir saßen noch ein wenig in der Küche, schmiedeten Pläne fürs Wochenende und gingen schließlich ins Bett.

Donnerstag 21. April 2022

Nachdem ich meine täglichen Physio Übungen erledigt hatte, stand für mich nicht direkt die Arbeit um 9:00 Uhr in der Früh an, sondern eine Verabredung zum telefonieren mit meinem besten Freund aus Algermissen. Jasper und ich hatten seit Monaten nichts voneinander gehört und es war schön mal wieder miteinander zu quatschen und alles aufzuholen, was in der Zwischenzeit so passiert war. Nach gut zwei Stunden Telefonat, begann ich die Arbeit um 10:00 Uhr und traf Seth und Kennedy im Gewächshaus. Da es draußen regnete begannen wir damit den Basilikum umzutopfen.

Das „große“ Gewächshaus von innen – noch ist nicht so viel los

Nachdem wir fast drei Stunden lang umgetopft hatten, verließen wir das Gewächshaus, in dem nun mindestens 25°C herrschten. In der Mittagssonne wurde es so warm im Inneren, dass wir uns sehr ungern dort aufhielten. Da die Sonne wieder schön, begannen wir das Knoblauch Beet von Unkraut zu befreien. Bei dem Unkraut handelte es sich in diesem Fall um Sonnenblumen, die letztes Jahr hier gewachsen waren, doch dieses Jahr leider dem Knoblauch Platz machen mussten. So sehr wir alle die Sonnenblumen liebten, sie hatten hier nichts zu suchen…

Als es plötzlich heftig begann zu regnen beschlossen Kennedy und ich kurzerhand, dass es Zeit für eine Mittagspause war.

Nach unserer Pause schien die Sonne und es waren nur noch wenige Wolken am Himmel zu sehen. Wir befreiten den Knoblauch von allem Unkraut und warteten auf weitere Anweisungen, doch Seth war nicht da. Also legten wir uns in die Sonne, dehnten uns ein wenig, übten Handstände und andere Akrobatik – in meinem Fall eher weniger erfolgreich, aber Kennedy war Tänzerin und hatte eine bemerkenswerte Körperbeherrschung.

Nach einiger Zeit erhielt Kennedy eine SMS von Seth, der uns mit einer neuen Aufgabe versorgte. Wir sollten den Blattsalat einpflanzen mit einem Abstand von 6 Zoll (15 cm) zwischen den einzelnen Setzlingen. Bis zum Ende des Tages waren wir also damit beschäftigt und wurden immer wieder von Larry (Anne) besucht. Sowohl Larry als auch Curly waren komplett schwarz doch ich konnte die beiden inzwischen unterscheiden. Larry kletterte auf mein Bein und schnurrte während ich auf dem Boden saß und Salat einpflanzte. Sie setze sich auf mich drauf, stapfte mit ihren kleinen weichen Pfoten durch unser frisch gepflanztes Beet, und verlangte immer wieder gestreichelt zu werden. Während Larry bei Kennedy weniger Erfolg hatte, da sie sie nach einiger Zeit einfach ignorierte, gab ich immer wieder nach, nahm Larry auf den Arm, kraulte sie und sie schmiegte sich mit ihrem Kopf entweder an mein Bein oder meine Schulter.

Um kurz nach 17:00 Uhr waren wir fertig mit dem Salat, also ging ich in die Küche, machte mir schnell etwas zu essen und beschloss bei dem schönen Wetter noch ein Stückchen spazieren zu gehen. Von der Farm aus ging ich eine halbe Stunde die Straße aufwärts, bis ich an einen Hügel kam, von dem man das Tal überblicken konnte. Ich setze mich ins Gras zwischen ein paar Büschel der heimischen Okanagan Sunflower und genoss die Aussicht, bis die Sonne hinter dem Berg verschwand.

Was für ein schöner Abend

Freitag, 22. April 2022

Fast Wochenende! Nach der üblichen Morgenroutine begannen wir mit der Arbeit. Draußen erwartete uns ein strahlend blauer Himmel und Sonnenschein. Die ersten paar Stunden verteilten wir wieder Holzspäne auf Wegen, zwischen den Beeten und überall dort, wo kein Unkraut erwünscht war. Anschließend schnitten wir die Äste der Robinien (Robinia pseudoacacia, black locust) zurück, die die Einfahrt zur Farm säumten. Die Äste waren gespickt mit Dornen, von denen einige fast so lang waren wie mein kleiner Finger. Seth erklärte uns, dass diese Dornen zur Abwehr von längst ausgestorbenen Herbivoren diente. Vorsichtig trugen wir die Äste auf einen riesigen Haufen von Gehölz, der in den kommenden paar Tagen verbrannt werden würde.

Nun mussten noch die Seiten des Gewächshauses von Unkraut befreit werden. Bei Seth’s Konstruktion konnte man die Abdeckung aufrollen, sodass wir von den Seiten unter die Plane kriechen und alles Unkraut entfernen konnten, was von innen schwer zu erreichen war. Unsere Arbeit war untermalt von einem anhaltenden Summen der Honigbienen und anderen Bestäubern, die langsam aktiv wurden und durch die Luft sausten. Auch Curly und Larry (Anne) leisteten uns wie immer treue Gesellschaft.

Double trouble

Am Ende des Tages ernteten wir verschiedene Arten von Blattsalaten und Radieschen, Frühlingszwiebeln, Schnittlauch und Koriander. Jede Pflanze war ein einziges Wunderwerk der Natur: Die geometrische Anordnung der Blätter der Salate, die verschiedenen Farben und Formen der Radieschen, der prägnante Duft des Korianders, den man noch mehrere Beete entfernt riechen konnte.

Meine erste richtige Ernte

Anschließend säten wir noch ein Beet mit Radieschen und dann hieß des ab ins Wochenende!

Nach der Arbeit ging ich ins Gewächshaus und erntete Grünkohl für mein Abendessen. Es gab Kürbis Püree mit sautierten Grünkohl mit Knoblauch, sonnengetrocknete Tomaten, vegane Chorizo und Kürbiskerne. Bis auf die Kürbiskerne und die vegane Chorizo stammte alles von der Farm.

Mmmmhhh

Nach dem Abendessen legte ich mich ins Bett und las in einem Buch, das mir Kennedy ausgeliehen hatte. Voller Vorfreude auf den morgigen Tag schlief ich zufrieden ein.

Samstag, 23. April 2022

Immer früher stieg die Sonne hinter den Bergen hervor und im Einklang mit der Natur änderte sich auch mein eigener Rhythmus. Schon vor 6:00 Uhr wachte ich auf und kochte mir einen Kaffee. Das tägliche Training ließ ich aus, spielte stattdessen auf meiner Gitarre und packte meinen Rucksack für unsere heutige Wanderung. Als Kennedy wach wurde frühstückten wir, stiegen ins Auto und fuhren in Richtung Westen entlang des Lake Chelan, des Columbia Rivers und schließlich in Richtung der North Cascades. Wir erreichten Leavenworth ungefähr gegen 10:00 Uhr und begannen direkt mit unserer Wanderung entlang des Icicle Ridge Trails. Er war gesäumt von wilden Blumen, die gerade erst zu blühen begannen und führte uns durch die immergrünen Nadelbäume für die Washington bekannt war. Es war warm, aber nicht heiß und der wolkenlose, tiefblaue Himmel ließ die Szenerie noch schöner erscheinen, als sie ohnehin schon war. Unser Aufstieg war mäßig anstrengend, der Trail stieg gleichmäßig am Hang des Berges hinauf und war leicht begehbar. So konnte man während des Wanderns einmal den Blick schweifen lassen und die Aussicht genießen. Kennedy und ich waren begeistert und riefen uns während des Aufstiegs immer wieder Ausrufe wie „es ist so schön grün!“ „es sieht aus als wären wir in einem anderen Land.“ oder „Wow, es ist soo schön hier!“ zu.

Als wir die Spitze erreichten, machten wir eine Pause. Wir hatten uns ein paar Snacks mitgebracht und verspeisten sie nun während wir unseren Blick über die Kulisse schweifen ließen. Von hier oben konnte man den „Dragons Tail“ in seiner ganzen Größe sein. Ein alleinstehender und eindrucksvoller Berg, der noch in Schnee bedeckt war. Auf der anderen Seite blickten wir über die kleine Stadt Leavenworth, eine Touristen Attraktion, allerdings nicht wegen der Berge, sondern wegen ihres bayrischen Flairs. Ja, das ist kein Witz, Leavenworth wird auch „Bavarian town“ gennant (dt: bayrische Stadt). Alle Schilder und Wegweiser hatten hier eine deutsche Übersetzung und die Lokale trugen Namen wie „Münchner Haus“ oder „Innsbrucker Inn“. Es gab Brezeln, Bier, Cider und jede Menge Souvenirs.

Kennedy und ich machten uns an den Abstieg, nachdem wir sehr lange auf dem Gipfel gesessen und uns gedanklich in den Weiten der Berge verloren hatten. Es lag der altbekannte Duft von Kiefernnadeln in der Luft, der mich an die Sierra Nevada erinnerte. Ich liebte ihn so sehr, dass ich ihn am liebsten in einem Glas eingefangen und daran gerochen hätte, wann immer mich ein starkes Fernweh überkam.

Dragon’s tail im Hintergrund

Zurück in Leavenworth gingen wir in eine Pizzeria – spätestens seit Slowenien gehören Pizza und Wandern für mich zusammen – und bestellten uns eine Pizza: Für Kennedy mit Ziegenkäse, Zwiebeln und Paprika und für mich mit Artischocken, getrockneten Tomaten, Fetakäse und Oliven. Die Pizza war köstlich und groß genug, dass sie unseren Hunger nach dem Wandern stillen konnte.

Bevor wir uns auf den Rückweg machten, spazierten wir noch ein wenig entlang des Flusses durch einen Park. Hier wuchsen interessante Pflanzen mit dem Namen „Horsetail“ die anscheinend 350 mio. Jahre alt waren und auch genau so aussahen: sie waren lang und dünn, fast wie eine Miniatur Version des Bambus. Sie vermehrten sich nicht durch Bestäubung sondern durch Sporenbildung.

Nach unserem Spaziergang nahmen wir uns aus einer Bäckerei eine riesige und unglaublich lecker aussehende Zimtschnecke mit, die es später als Nachspeise geben würde, und stiegen ins Auto. Während der gesamten Rückfahrt war ich unglaublich müde und Kennedy und ich sprachen kaum ein Wort. Am liebsten hätte ich einfach die Augen geschlossen und geschlafen, aber irgendwie schaffte ich es doch, wach zu bleiben und Kennedy wenigstens meine Anwesenheit als Gesellschaft anzubieten.

Die Abendroutine muss sein

Sonntag, 24. April 2022

Das Wetter war fantastisch. Wie schon gestern stand keine einzige Wolke am Himmel. Diesen Tag musste ich irgendwie nutzen, dachte ich mir. Also schmiedete ich Pläne, heute zum ersten Mal mein neues Zelt auszuprobieren. Zunächst war das Vorhaben nur eine Idee in den hintersten Ecken meines Gehirns, doch je mehr Zeit verging, desto größer wurde meine Abenteuerlust. Gegen Mittag beschloss ich, dass ich von Seth’s Farm zum Fourth of July Mountain wandern und dort in der Umgebung mein Zelt aufschlagen würde. Ich traf alle nötigen Vorbereitungen, packte meinen Rucksack, bereitete mein Essen vor und aktivierte mein Satelliten Kommunikationsgerät, welches bis heute in einem langen Winterschlaf verweilt hatte. Auf der Speisekarte der Camping-Küche stand für heute ein Linsen Curry mit Spinat und für morgen früh Porridge mit Heidelbeeren von der Farm. Ich wusch eine halbe Tasse rote Linsen und gab sie in eine Ziploc Bag mit ein wenig Wasser. Somit konnten die Linsen sich schon vor dem Kochen mit Wasser vollsaugen, was die Kochzeit verringert und dadurch Gas spart. Außerdem packte ich eine Hand voll Spinat ein und vermischte Curry Pulver, Gemüse Brühe und Garam Masala, um mein Abendessen zu würzen. Für den Porridge nahm ich zwei fertige Mischungen Haferflocken mit Mandeln und zusätzlich eine Tüte mit gefrorenen Beeren aus dem Gefrierfach.

Ich verstaute meine Nahrung im Rucksack und bot Seth um ein paar Meter Schnur bevor ich aufbrach. Diese benötigte ich, um mein Essen an einem Ast hoch oben in einem Baum aufzuhängen. Auf Campingplätzen gibt es meistens sogenannte „Bärenboxen“, die man verriegeln kan. Wenn man allerdings so wie ich in der Wildnis schlafen möchte, muss man seine Lebensmittel anderweitig vor den schwarzen felligen Gesellen in Sicherheit bringen. Dafür gibt es zwei Möglichkeiten, einen Bärenkanister, oder eben das Aufhängen im Baum. Aus Kosten- und Gewichtsgründen entschied ich mich offensichtlich für letztere.

Nun war ich wirklich bereit und wanderte los. Ungefähr anderthalb Stunden lang ging es leicht bergauf auf einer einsamen Landstraße die später in einen Forstweg überging. Dieser war gesäumt von hohen, uralt aussehenden Nadelbäumen und gelben wilden Sonnenblumen, deren Blüte allerdings schon fast vorüber war. Es war warm, fast 20°C und ich trug ein Spaghetti Top und meinen Wanderrock. Dennoch schwitzte ich, mein Körper war noch nicht ganz so gut an die Temperaturen gewöhnt, wie meine Abenteuerlust es verlangte.

Schließlich erreichte ich den Fuß des Fourth of July Mountain und begann mit dem eigentlichen Aufstieg. Er war zwar nur zwei Kilometer lang, aber sehr steil, denn auf diesen zwei Kilometern überwand ich immerhin 400 Höhenmeter. Nach ungefähr 10 Minuten musste ich eine Blase auf meiner rechten Ferse verarzten – das kennen wir ja aus Slowenien. Die Schuhe waren außerdem auch vermutlich noch nicht genug eingelaufen. Interessanterweise fühlte sich mein rechter Schuh an, als sei er ein wenig zu klein, manchmal stieß ich sogar vorne an. Nach dem sechsten Paar desselben Schuhs in allen möglichen Farben überraschte mich das sehr, aber scheinbar wachsen auch im Alter von 23 Jahren die Füße noch ein wenig weiter.

Noch vor 18:00 Uhr erreichte ich die Spitze, setzte mich auf einen Baumstamm und genoss die Aussicht. Es war ein wunderschöner, klarer Abend und so beschloss ich, hier oben mein Lager aufzuschlagen. Diese Nacht war auch die Premiere für mein neues Zelt. Anstelle von Zeltstangen nutzt man die Wanderstöcke um es aufzustellen und somit erzielt es ein Rekordgewicht von nur 600g! Der Aufbau war erstaunlich einfach und nachdem ich auch meine Isomatte aufgeblasen und den Schlafsack ausgepackt hatte, setzte ich mich vor mein Zelt und begann mit einer atemberaubenden Aussicht mein Abendessen zu kochen.

Ich brachte die Linsen mit etwas Wasser zum köcheln und fügte die Gewürze hinzu. Nachdem die Linsen zu zerfallen begonnen hatten, gab ich den Spinat hinein und voila, fertig ist ein super einfaches, günstiges und leckeres Abendessen, das sich auch für Fernwanderungen eignet und dieses Jahr in Spanien ausprobiert wird. Die Tortilla wraps haben mir treu gedient aber ein bisschen Abwechslung muss sein.

Nach dem Abendessen musste ich nur noch meine Nahrung in den Baum hängen. Das erwies sich allerdings als gar nicht so einfach, wie gedacht. Ich band meine Schnur um einen Stein und versuchte ihn über einen Ast zu werfen. Nach dem ich sehr oft ins leere geworfen hatte, traf ich endlich einen Ast. Allerdings nicht nur einen, sondern gleich mehrere und nun hing meine Schnur mitsamt dem Stein in einer Höhe, die ich nicht erreichen konnte. Ich versuchte hinauf zu springen und irgendwie den Stein mit meiner Hand greifen zu können, doch immer wenn ich ihn berührte, hatte ich Angst, dass er den ganzen Ast über mir mit abreißen würde, da er sich in einer Schlaufe mehrmals um ihn herum gewickelt hatte. Irgendwann kam ich auf die glorreiche Idee, mit einem anderen Ast meinen Stein zu beschleunigen, ihn über den Ast zurück zu katapultieren und so die Schlaufe zu lösen. Endlich funktionierte es und der Stein fiel zu Boden. An einer Seite der Schnur befestigte ich nun meine Food bag mit einem Karabiner, steckte das andere Ende hindurch und zog daran, bis sich die Food bag ganz oben am Ast befand. Jetzt nahm ich einen kleinen Stock, knotete das Seil darum und ließ die Foodbag so weit wieder herunter bis der Karabiner durch den Stock blockiert wurde und die Nahrung sicher in der Luft hing. In meinem Fall nicht ganz in der Luft, weil ein weiterer Ast im Weg war, aber immerhin weit genug über dem Boden, um als „bärensicher“ zu gelten.

Jetzt war es endlich Zeit ins Bett zu gehen. Der Sonnenuntergang kündigte sich an, ich kuschelte mich in den Schlafsack und wartete darauf einzuschlafen. Wie jedes Mal, wenn ich die erste Nacht im Zelt verbrachte, wollte der Schlaf nicht so recht kommen. Außerdem hatte meine Campsite zwar einen tollen Bergblick, war allerdings leicht abschüssig und so rutschte ich im Zelt immer ein wenig nach links. Es ist sehr schwer, einen Zeltplatz nur nach Funktionalität auszusuchen, aber ich beschloss von nun an der Funktionalität eine zumindest gleich hohe, wenn nicht sogar höhere Priorität zuzuweisen als dem Ausblick.

Ausbaufähig

Letztendlich schlief ich in dieser Nacht nicht wirklich, aber ich war trotzdem froh, wieder in der Wildnis zu sein und die Ruhe und Einsamkeit zu genießen.

Um 5:00 Uhr in der Früh begann es draußen langsam hell zu werden, also zog ich mich warm an und machte mich auf den Weg, meine Nahrung aus dem Baum zu angeln, die ungefähr 100 m entfernt von meinem Zelt hing. Ich zog am Seil, doch die Foodbag wollte sich einfach nicht bewegen. Ich zog noch fester und der Ast bog sich, doch meine Nahrung bewegte sich keinen Zentimeter. Die Schnur glitt nicht so einfach über den rauen Ast, wie ich mir das vorgestellt hatte, also versuchte ich die gleiche Taktik wie gestern anzuwenden. Ich gab der Tasche einen Schubs, und noch einen und genau als sie im richtigen Winkel schaukelte, sank sie herab. Ich zog den Stock aus dem Karabiner und lies die Tasche ganz herunter. Die Technik hatte zwar funktioniert, ich würde sie aber dennoch als ausbaufähig bezeichnen.

Nun hatte ich alles, was ich brauchte um Frühstück zu machen. Ich setzte mich in meinen Schlafsack gewickelt vor das Zelt, leerte die kleinen Tütchen mit den Haferflocken in meinen Titantopf, gab etwas Wasser hinzu und schließlich die Himbeeren. Dann steckte ich den Gaskocher an und ließ meinen Porridge kurz aufkochen.

Frühstück

Jetzt hieß es Zelt abbauen, einpacken und zurück zur Farm. Um 8:00 Uhr kam ich pünktlich zur Arbeit. Schnell trank ich eine Tasse Kaffee und dann ging es auch schon los.

Seth und Kennedy waren schon dabei die letzten 3 Beete von Unkraut zu befreien und die Wege mit neuen Holzspänen zu bedecken. Ich schnappte mir eine Mistgabel und machte mit.

Nach dem Mittagessen dichteten wir die Wasserversorgung der südlichen Beete an den Enden ab, jäteten ein wenig Unkraut und säten ein ganzes Beet Calendula.

Normalerweise hatte ich immer mehr als meine vereinbarten fünf Stunden am Tag gearbeitet, doch heute freute ich mich auf eine heiße Dusche und mein Bett, also beendete ich um kurz nach 16:00 Uhr meinen Arbeitstag und erholte mich von meinem gestrigen Abenteuer.

Nachtrag zum letzen Blogeintrag

Zu guter letzt noch ein Nachtrag zum Eintrag letzter Woche. Die Aussage, dass Bodenbearbeitung ohne Pflug nur Vorteile hat, war nicht ganz richtig. Während in Amerika bis zu 50% der Landwirte ein no-till Verfahren anwenden, ist das in Europa nicht der Fall. Tatsächlich führt eine reduzierte Bodenbearbeitung oder Direktsaat zu einer höheren Denitrifikationsrate im Boden. Wenn nicht gepflügt wird, gelangt weniger Sauerstoff in den Boden. Das führt dazu, dass anaerober Nitritabbau durch Mikroorganismen begünstigt wird. Das entstehende Gas NO2, oder auch Lachgas genannt, besitzt eine 300-Fach höhere Klimawirksamkeit, als Kohlenstoffdioxid. Auf kleinen Flächen, wie zum Beispiel Seth’s Farm, ist dies vermutlich wenig relevant, zumal eine maschinelle Bearbeitung auch gar nicht möglich ist. Alex und Papa haben mich darauf hingewiesen, dass pfluglose Bodenbearbeitung auch Kehrseiten haben kann, die besonders im Auge des Klimawandels zu berücksichtigen sind. Als jemand, der nicht vom Fach ist, kann ich mich dazu nicht weiter äußern, außer, dass ich es für wichtig halte, immer beide Seiten zu beleuchten. Ich habe die Information vorher nicht groß hinterfragt, bin allerdings genau aus diesem Grund froh, darauf hingewiesen worden zu sein.

  1. Apr 27, 2022 2:35 pm

    Also, diese ganzen Gerichte, die ihr da auf der Basis der Farmerzeugnisse kocht sehen wirklich mega lecker aus! Dein Leben auf der Farm scheint sich auf ganz wesentliche Dinge zu beschränken: Anstrengende, aber befriedigende Arbeit in der Natur oder mit der Natur, gutes und leckeres Essen direkt aus der Natur bzw. von der Natur, Erholung in der Natur. Das klingt wirklich in sich stimmig. Natürlich war auch meine Erasco Kartoffelsuppe eben ein Produkt, deren Zutaten irgendwie mal in der Natur entstanden sind, aber der Begriff „Naturkontakt“ kommt einem da nicht unbedingt als Erstes in den Kopf sondern eher der Begriff „Entfremdung“.
    Allerdings hätte ich den Bären eher meinen Proviant als Häppchen bzw. Distraktor angeboten, als mich selbst. Schnüffelt so ein hungriges Tier nicht auch mal am Zelt????
    Und dann habe ich eine Fragen: Für welche Fläche reichen denn die 4 Gläser mit dem Düngekonzentrat, dass du im Labor gewonnen hattest?

    • Apr 30, 2022 3:13 am

      @Katrin Woelk

      Hallo Katrin!
      Zum Glück hat an meinem Zelt nichts geschnüffelt, allerdings kommt das generell nicht selten vor… ich hoffe sehr, dass mir das erspart bleibt.
      Die 4 Gläser FPJ reichen ungefähr für die Hälfte von Seths Farm. 30 ml Extrakt werden mit 4 L Wasser vermischt und dann auf die Pflanzen gesprüht. Das beste ist, dass diese Form von Dünger komplett kostenlos ist, allerdings natürlich etwas mehr Aufwand bedeutet.
      Liebe Grüße in die Heimat!